Interview mit Harald Winter – einem Historischen Fechter der ersten Stunde
„Es war mir definitiv kein Vergnügen – aber eine Ehre.“
Historisches Fechten ist trotz seiner geschichtlichen Wurzeln eine relativ junge Sportart. In Österreich gehörte Harald Winter zu den ersten Aktiven. Er war einer der Gründer des ÖFHF – dem ersten Fachverband für Historisches Fechten in Europa – und übernahm 2012 bis 2015 die Position des Obmannes. Wie er die Entwicklung des Sports bis heute miterlebt hat, warum er Turniere bis heute nicht mag und über Musikwünsche seiner Nachbarn – darüber und über noch viel mehr haben wir mit ihm geplaudert. In der Szene weiß man: Der „Bigman“ nimmt sich kein Blatt vor den Mund; dass er sich trotzdem nicht allzu ernst nimmt, zeigen aber wohl spätestens die Fotos, die er uns zur Verfügung gestellt hat.
BIO
Harald Winter gehört zu den ersten Historischen Fechtern in Österreich und ist einer der angesehensten Dozenten in Europa. Seit er 1999 das erste Mal in Wien bei den Liechtenauer Fechtern trainierte, war er so gut wie auf jedem größeren Event in Europa als Trainer gebucht (Dijon, Dreynevent, Swordfish, Fightcamp uvm.). Seine Wege führten ihn sogar bis nach Boston (USA). Sein Spezialgebiet ist die „Deutsche Schule“, seine Lieblingswaffe der Dolch. Während seiner Amtszeit als Obmann setzte er sich vor allem dafür ein, dass die Sportart endlich ernster genommen wurde und brachte viele Entwicklungen auf den Weg, von denen einige abgeschlossen sind und andere bis heute andauern. Inzwischen hat er sich von der Szene jedoch weitgehend zurückgezogen und tritt nur mehr sporadisch als Trainer oder Beobachter in Erscheinung.
Was war die erste Sportart, mit der du in Berührung gekommen bist?
Eishockey. Da war ich vier Jahre alt. Der Sohn meines Patenonkels spielte Eishockey – er war 16 und ich war 4 – und da war er natürlich DER große Held für mich und somit musste und wollte ich Eishockey spielen.
Wie bist du dann beim Historischen Fechten gelandet?
Das ist eine gute Frage. (lacht) Also, ich hatte nach Eishockey mehr oder weniger alle Ballsportarten durch: Fußball, Tennis, Squash, Badminton, American Football, Rugby… Dann habe ich Wrestling gemacht und irgendwann im Jahre 1999 traf ich mich mit einem Kumpel. Wir waren beide riesige Fans von Highlander und er meinte: „Des muass doch irgendwo zum Lernen geben!“. Zwei Wochen später hatte ich zum ersten Mal Internetzugang und dann begannen wir mit dem Suchbegriff „Schwertkampf Österreich“. Zuerst landeten wir auf Millionen Seiten für Budo, Kendo und Co. Search-Engine-Optimisation war damals noch nicht Gang und gebe, also mussten wir die Suche verfeinern. Irgendwann fanden wir dann eine Seite: „welcome.to/dreynschlag“ und darauf stand „Die Liechtenauer Fechter“, was etwas verwirrend war. Ich habe den Verein dann kontaktiert.
Du bist dann hingegangen und hast mit dem Training begonnen. Wie war die Stimmung? Gab es damals überhaupt schon eine „Szene“?
Fechtgruppen in dem Sinn gab es. In Wien gab es Klingenspiel und Dreynschlag. Dann gab es noch die ein oder andere Schaukampftruppe wie Turba Ferox, die Eisenfaust, Armati Domini,… Rittersporn war auch schon auf Mittelaltermärkten unterwegs. Für‘s reine Fechten gab es aber nur Dreynschlag und Klingenspiel, wobei wir auch beide Schaukampf machten.
Ihr wart also die Exoten unter den Exoten?
Ja. Unter denen die von sich sagten „Wir sind Ritter.“, waren wir die, die sagten „Wir sind Fechter.“ Das war schon ein ziemliches Alleinstellungsmerkmal.
Wer kam auf die Idee den ÖFHF zu gründen und warum?
Die Idee kam ursprünglich von mir. Anfänglich war es ein Gedankenpfurz, der mir im Kopf herumspukte, aber ich sah mich außer Stande das anzugehen. Eines Tages hab ich dann Oli(ver Walter) gefragt, was er davon hält und er war von Anfang an dabei. Gemeinsam haben wir dann die damals aktiven historischen Fechtgruppen, mit denen wir viel Kontakt hatten, angeschrieben und bei einem Treffen in der Wohnung von Peter Zilinger haben wir dann den Verband gegründet. Oli hatte bereits Statuten als Diskussionsgrundlage vorbereitet, die wurden dann auch mehr oder weniger genauso übernommen. Was uns damals schon sauer aufstieß war, dass uns gesagt wurde: Wenn beim Training ein Unfall passieren sollte, sollten wir im Krankenhaus sagen, wir wären wo dagegen gerannt oder die Stiegen runtergefallen. Ich dachte: Das kann doch nicht sein! Wir machen eine Sportart. Wir machen eine Kampfsportart. Da verletzt man sich. Da muss ich doch irgendwie bekannt geben können, dass es ein Sportunfall war. Es war mir immer schon ein Dorn im Auge, dass man beim Training oder beim Schaukampfauftritt mit einem Fuß in der Strafanzeige stand. Zivilrechtlich ist man heute zwar auch nicht gefeit davor, aber strafrechtlich war die Gründung des Fachverbandes und vor allem die Anerkennung duch die Sportunion ein ganz, ganz wichtiger Schritt. Wenn was passiert, ist es ein Sportunfall: Feder auf den Kopf gekriegt, Feder auf die Finger gekriegt, ich bin in einen Dolch reingerannt, ich habe mir beim Ringen die Bänder gerissen. Was auch immer.
Wann wurde der ÖFHF gegründet?
Das war… 2004 glaube ich. Rittersporn, Klingenspiel und wir (Liechtenauer Fechter/ Dreynschlag) hatten eine erste Besprechung. Herbert Schmidt von Ars Gladii ist zwar nicht dabei gesessen, hat aber auch von Beginn an mitgemacht.
Was war das große Ziel damals?
Die rechtliche Absicherung. Das war das ganz große Ziel. Das kurzfristige Ziel war die Verhinderung strafrechtlicher Verfolgung von Trainingsunfällen. Das langfristige Ziel war und ist nach wie vor die Anerkennung durch die BSO – etwas, was bis jetzt nicht funktioniert hat und wohl immer noch in unerreichbarer Ferne steht. Das macht einerseits die Größe unseres Verbandes aus – keine Frage – andererseits aber auch die Verbohrtheit und Verstocktheit der Leute dort. „Rackeltlon“ ist zum Beispiel bei der BSO. Das verstehe ich nicht, denn uns wurde gesagt „Fechten“ gibt es schon. „Racketlon“ wurde aber aufgenommen, ohne zu vermerken, dass es „Tennis“ auch schon gibt… Racketlon ist eine Sonderform von Tennis, Badminton, Tischtennis und Squash. Und wir sind mehr oder weniger eine Sonderform vom Olympischen Fechten, bzw. eigentlich sie eine Sonderform von uns.
Der erste Obmann des ÖFHF war damals Martin Schneider von den Liechtenauer Fechtern. Du hast das Amt 2012 von ihm übernommen. Wie kam es dazu?
Martin schaffte es aus beruflichen und familiären Gründen nicht mehr. Die Mitglieder haben es sich wie immer leicht gemacht und haben einfach mich nominiert und dann hat sich kein anderer mehr aufgestellt. Ich bin dort gesessen und hab mir gedacht: „Na super. Ihr nehmt‘s den Unfähigsten von allen als Obmann.“ Es war echt den Bock zum Gärtner machen. (lacht) Aber bitte.
Aber du hast „ja“ gesagt?
Naja, sonst hätte es keiner gemacht. Es war mir definitiv kein Vergnügen – aber eine Ehre. Schlau war es nicht, das sage ich nach wie vor. Ich bin zu ehrlich für dieses Geschäft. Ich bin im verschwitzten Trainingsleiberl zur Sitzung der BSO hin gegangen und hab sie gefragt, ob‘s deppert san, nachdem sie mir gesagt hatten „Nein, ihr seids ja nur depperte Ritter. Warum sollen wir euch aufnehmen?“ Also hab ich sie gefragt, ob sie einen Vogel haben.
War das wirklich der O-Ton der BSO?
Ja, das war der O-Ton. „Ihr seid ja nur irgendwelche Ritter und ewig Gestrige. Und außerdem haben wir „Fechten“ schon im Verband. Wir brauchen keine zweite Form von Fechten.“ Das war aber nicht nur der Ton der BSO, es war der Ton von allen: Alle Dachverbände, der Fechterverband, auch die Akademie der Fechtkunst. Bei letzterer hakte ich zweimal nach und schließlich war es Peter Zillinger der den Kontakt zu Herrn Dr. Laszlo aufnahm. Dieser war dann der erste – er selbst war Fechthistoriker – der ein wenig Interesse zeigte und zu einem Training von uns und Klingenspiel vorbeikam, um sich anzusehen, was wir überhaupt machten. Durch ihn konnten wir zumindest kurzfristig in der Akademie der Fechtkunst Fuß fassen. Dann meinte endlich auch die Sportunion, dass vielleicht doch mehr an uns dran wäre. Und schließlich bekam der Fechterverband einen neuen Präsidenten und war zumindest, bis ich ging, etwas gesprächsbereiter. Ich weiß aber nicht, wie die Entwicklung danach weiterging.
Die Anerkennung durch die BSO war also eine große Herausforderung und ist es noch bis heute. Was hat im ÖFHF funktioniert?
Einiges. Wir haben eine Schiedsrichterausbildung, die rennt. Leider ist es trotzdem schwierig, Schiedsrichter zu bekommen. Die meisten sind selbst aktive Fechter und wollen lieber mitmachen, als auf eigene Kosten quer durch Österreich zu fahren und dann vielleicht auch noch für Fehlentscheidungen angefeindet zu werden. Schiri ist einfach ein harter Job. Wer macht den schon gern? Schon gar nicht, wenn du selbst noch dabei draufzahlst.
Wir haben ein funktionierendes Turnierwesen. Ob das jetzt gut oder schlecht ist, sei dahingestellt, aber für den Verband ist es das Um und Auf. Der ÖFHF ist ein Sportverband und kein Geschichtsverein. Und ein Sportverband muss einfach Turniere machen, das ist so. In diesem Bereich hat sich Marcel Dorfer am Anfang unglaublich engagiert und das war wirklich gut so. Noch dazu, weil er sich dabei gegen einen Obmann durchsetzen musste, der die Meinung vertritt, dass Turnierfechten das Übel des Historischen Fechtens ist: MICH. (lacht) Ich bin kein Turnierfechter und werde es nie sein. Aber wir brauchen ein Turnierwesen und sich dagegen zu sträuben wäre idiotisch.
Auch bei der Trainerausbildung gibt es immer wieder Fortschritte. Was nach wie vor nicht funktioniert ist die Öffentlichkeitsarbeit. Aber auch das ist klar: Alle sind ehrenamtlich dabei. Öffentlichkeitsarbeit muss aber täglich passieren. Nicht einmal im Jahr oder einmal alle sechs Monate. Solange man kein Geld für jemanden hat, der das macht, wird es nicht funktionieren. Oder man hat jemanden mit dem nötigen Ehrgeiz und den nötigen Fähigkeiten. Ich hatte zwar den Ehrgeiz und die Zeit – großteils – aber einfach nicht die Fähigkeiten. Ich hab nicht mal einen einzigen Social Media Account. Wenn jemand sagt: „Das musst du auf Facebook posten!“ denke ich nur „Fese… was?“ (lacht)
Punkto Trainerausbildung: Herbert Schmidt wagt gerade wieder einen neuen Versuch, etwas auf den Weg zu bringen. Bis dato gab und gibt es die Übungsleiter-Ausbildung, die Ingulf Popp-Kohlweiss (INDES Salzburg) organisiert. Hattet ihr sonst noch Prüfungen oder Ausbildungen im Laufe der Zeit?
Wir hatten den „Scholar“ (2009). Diese Prüfung wurde von der Akademie der Fechtkunst und dem ÖFHF initiiert und war ungefähr dem Übungsleiter gleichgestellt, beinhaltete aber eigentlich schon viel mehr. Die Prüfung war im Vergleich zur Übungsleiterausbildung relativ aufwändig. Jeder Teilnehmer musste einen 30min Workshop halten. Das Thema musste zuvor aus dem Hut gezogen werden. Dann bekamen alle einen zufälligen Prüfungsbogen zugeteilt, den sie mit einem Prüfer (meistens ich) durcharbeiten mussten. Das hat echt gut funktioniert. Super Disziplin in der Halle. Über 30 Leute. Das Ganze dauerte 10 Stunden, trotzdem waren alle voll konzentriert. Keiner hat gemurrt. War echt cool.
Was glaubst du hat der ÖFHF richtig gemacht, was hat er falsch gemacht?
Richtig gemacht: Dass er überhaupt gegründet wurde. Was er falsch gemacht hat? Er hat mich zum Obmann gemacht. (lacht) Das war der größte Fehler. Ich sehe meine Zeit als fünf verlorene Jahre in der Entwicklung, vielleicht sogar noch mehr, weil ich mit Leuten Brücken abgebrochen habe, die uns heute vielleicht helfen könnten. In der Anfangszeit ist auch leider grundsätzlich nicht viel passiert. Das war mit Sicherheit der größte Fehler. Martin Schneider hat sich als Obmann leider nicht wirklich engagieren können, er war ständig beruflich im Ausland unterwegs. Er wurde es auch nur deshalb, weil sich kein anderer gemeldet hat und weil er nicht rechtzeitig abwinkte. Der Hauptgrund für seine Nominierung war, dass er ein sehr seriöses Auftreten hat. Oliver Walter wollte damals nicht, weil er schon bei Dreynschlag Obmann war. Ja… und in den ersten 10 Jahren haben wir einfach nicht viel geschafft. Wir waren einfach damit zufrieden, dass wir da waren. Ich bin damals aber schon von Amt zu Amt gerannt und hab herumtelefoniert. Unsere Hauptaufgabe in dieser Zeit war vor allem der Kampf gegen das Vorurteil: „Ihr seid‘s depperte Ritter.“ Und erst dann konnten wir uns auf andere Dinge konzentrieren. Das war sehr, sehr mühsam und auch nervig.
Warum bist du nicht mehr dabei im ÖFHF?
Hm. Es gibt so viele Gründe. Aber ich würde einfach sagen: Zeit für was Neues. Es ist wirklich schwer, was Genaues zu sagen. Aber ich hatte ja von Anfang an gesagt, dass ich für den ÖFHF der Falsche bin. Und die einzige Möglichkeit, dass ich nicht wiedergewählt werde ist, dass ich einfach sage, ich gehe. Klingt deppert, ist aber so. Immer wenn Harry da ist, redet keiner dazwischen und es heißt, der Harry macht das schon. Und das ist für einen Verband weder hilfreich noch förderlich. Damit der Verband weiterkommt, musste ich gehen. Das war zwar hart, aber notwendig. Und es hatte auch den Wachrüttel-Effekt, den ich mir erhofft hatte. Ich hatte im Vorfeld auch schon mit Leuten geredet, die eventuell Posten übernehmen würden und bekam so auch den Nachfolger, den ich mir erhofft hatte. Andreas Klingelmayer meinte damals, er würde den Obmann machen, aber nicht lange. Zum Glück macht er es immer noch.
Du fechtest zurzeit auch nicht mehr besonders viel. Warum?
Schwer zu Sagen. Im Verein ging fechterisch einfach nichts mehr weiter. Die Argumentation war immer: Auftritte vor Training. Dann bin ich drei oder vier Jahre lang mit meinem Trainerkollegen Eugen Karel allein im Turnsaal gestanden, gelegentlich waren wir sogar zu dritt oder viert. Das war also zuletzt relativ „unspannend“. Und grundsätzlich war meine Herangehensweise an viele Dinge grundverschieden zu der des restlichen Vereins. Ich sah also – zumindest vereinspolitisch – keinen gemeinsamen Weg mehr. Es war Zeit, dass ich gehe. Und im ÖFHF war es ähnlich.
Reden wir ein bisschen über die österreichische Szene. Weit mehr als die Hälfte der Vereine praktiziert fast ausschließlich langes Schwert. Was macht die deutsche Schule faszinierender und interessanter als zum Beispiel einen Säbel oder einen waffenlosen Stil?
Das „Lange Schwert“ ist halt ein „Schwert“. Und nur ein Schwert ist was wert. (lacht) Ist eine interessante Frage… Es gibt, glaub ich, nur zwei Vereine die wirklich was anders machen: Fior della Spada und Klingenspiel. Was soll man sagen… Ich glaube es liegt daran, dass die meisten der heute aktiven Vereine sich aus Schaukampf und Mittelalter-Reenactment entwickelt haben. Und die meisten in dieser Szene machen Spätmittelalter, 15. Jahrhundert. Und das ist einfach die Heimat des Langen Schwertes. Wenn du jetzt in Österreich nicht olympisches Fechten lernen willst, tust du dir echt schwer was zu finden, das nicht „Langes Schwert“ ist. Es ist die mangelnde Alternative, die die meisten Schüler ins „Lange Schwert“ zwingt. Aber es ist auch einfach die geilste Waffe. (lacht)
Beim Trainertreffen des ÖFHF dieses Jahr wurde unter anderem die Frage diskutiert, ob Historisches Fechten eher eine Kampfkunst oder ein Kampfsport ist. Was sagst du dazu?
Wieder mal diese Frage. (lacht) Wenn man sich den historischen Aspekt anschaut, kann man diese Frage eigentlich nur schwer beantworten. Wir wissen ja mit Sicherheit, dass Fechtbücher nicht für das Schlachtfeld geschrieben wurden. Garantiert nicht, keines davon. Die Fechtbücher waren alle aufs Duellwesen oder für Fechtdemonstrationen bei Hofe oder Ähnliches ausgelegt. Wenn man sich die Gewaltbereitschaft der damaligen Zeit anschaut, würde ich also Kampfkunst sagen, auch wenn in manchen Fechtbüchern der Hinweis auf das „Klopffechten“ (Anm.: Schaukampf) zu finden ist. Wie HF trainiert werden sollte, ist wieder eine andere Frage. Ich hasse Turnierfechten und halte es für eine Perversion von dem, was beim Fechten eigentlich herauskommen sollte. Jedes Mal, wenn ich einen Turnierkampf sehe, kommt mir das Speiben. Und ich habe sicher über 1.000 Turnierkämpfe gesehen. Bei vier oder fünf davon bin ich nicht heulend davongelaufen. Der Rest war… katastrophal bis absolut abschreckend. Ich finde, dass HF als Kampfkunst trainiert werden MUSS. Turniere vernachlässigen das oberste Prinzip des Fechtens: Nicht getroffen zu werden. Selber zu treffen ist nur ein Bonus. Und bei den Turnieren vermisse ich gerade diese Herangehensweise total. Es wird dafür aber immer mehr der sportfechterische Aspekt verfolgt: Treffen, Hauptsache als erstes. Und hier ist die Schutzausrüstung Fluch und Segen. Denn hätten die Leute nicht ihre dreifach gepolsterten Jacken, Handschuhe, Schulterschutz, Fechtmaske usw. würden sie nie so agieren, wie sie es derzeit tun.
Glaubst du, dass Turniere grundsätzlich mit Kampfkunst unvereinbar sind?
Ja. Wir haben damals versucht beim Regelwerk etwas entgegen zu wirken. Eine Regel besagte, dass es nicht mehr Doppeltreffer geben darf, als Gesamttreffer in der Runde. Und das andere war, dass es dem Schiedsrichter obliegt, Leute für zu wenig Selbstschutz zu bestrafen – meiner Meinung nach, die beste Regel überhaupt – aber mit dem Problem, dass unsere ehrenamtlichen Schiedsrichter zwar ihr Bestes tun, bei so einer komplexen Regel aber überfordert sind. Die Regel ist ihrer Zeit vielleicht voraus. Vielleicht haben wir in 10 Jahren professionelle Schiedsrichter. Die können solche Regeln dann besser umsetzen und dann können wir vielleicht auch noch einmal die Frage aufwerfen, ob Turnierfechten mit Kampfkunst unvereinbar ist. Aber jetzt: Ja, unvereinbar.
Im Juni hätte in Nürnberg „HEMA is coming home“ stattfinden sollen. Der Event wurde aber abgesagt, nachdem viele Teilnehmer gegen Alex Petersson als Trainer dort protestiert hatten. Ihm werden rechtsextreme Äußerungen vorgeworfen. Petersson war lange Zeit einer DER Vorzeigefechter der Szene. Du hast bereits mehrmals mit ihm zu tun gehabt. Was sagst du dazu?
Meiner Meinung nach ist er auch weiterhin einer der Vorzeigefechter in der Szene. Ich sehe das so: Du kannst über jeden Fechter – vor allem über weltweit bekannte wie Petersson – Blödsinn finden, den sie irgendwo verzapft haben. Bei Axel Petersson kam noch dazu, dass die Aussage vollkommen aus dem Kontext gerissen wurde – das Statement wurde zwar komplett gepostet, die Vorgeschichte und den Kontext kannte aber keiner. Sie kennen seinen damaligen Gefühlszustand nicht und haben keine Ahnung, warum er das geschrieben hatte. Was Petersson anbelangt: Ich kenne ihn seit gut 15 Jahren und sah ihn etwa alle zwei Jahre auf Events: Er hat es kein einziges Mal an Hochachtung und Respekt anderen Personen gegenüber mangeln lassen. Mehr kann ich dazu nicht sagen – aber so habe ich ihn immer erlebt.
Gibt es einen Zusammenhang zwischen HEMA und Politik?
Zwangsläufig. HEMA besteht aus Menschen und Menschen sind politisch – auch wenn sie das Gegenteil behaupten. Jeder vertritt seine Ansichten. Ich finde nur schade, dass es überflüssigerweise in den Sport getragen wird. Selbst wenn Petersson eine rechte Gesinnung hat, kann mir das egal sein, solange er bei den Events allen gegenüber denselben Respekt zeigt.
Wo steht Historisches Fechten in 10 Jahren?
Ich glaube, dass es jetzt für lange Zeit nur mehr Mikroentwicklungen geben wird. So richtig bahnbrechend wäre natürlich, dass die BSO uns anerkennt – aber da sehe ich momentan nicht wirklich Potenzial. Vielleicht kann der ÖFHF sich irgendwann komplett selbst finanzieren und Schiedsrichter kriegen endlich Geld. Die Bundessportakademie gesteht uns vielleicht endlich eine eigene Trainerausbildung zu… Allerdings: Ich warte mittlerweile auch leider auf den ersten Toten. Die Kämpfe bei Turnieren werden immer brutaler und in Russland gibt es inzwischen diese „Vollkontaktler“, die sich in Rüstung mit Schwertern in einem Ring prügeln.
Die machen aber kein historisches Fechten.
Eh nicht, aber es sind Typen mit Schwertern und Rüstungen. Es wird für die Öffentlichkeit keinen Unterschied machen, ob die zu uns gehören oder nicht. Und da muss früher oder später was passieren.
„Bevor ich zu Dreynschlag kam, war ich eigentlich eher schüchtern… oder sagen wir: sehr zurückhaltend, dafür immer schon deppert. Aber ansonsten hätte ich ja auch nicht zu ihnen gepasst.“
Du warst viel im Schaukampf aktiv, auch als Choreograph. 2007 hast du bei agilitas.tv zusammen mit Oliver Walter sogar eine Lehr-DVD zum Thema Schaukampf gemacht. Vor nicht allzu langer Zeit ist auch ein Video von dir aufgetaucht, auf dem du singst. Hast du einen künstlerischen Hintergrund oder kommst du von der Bühne?
Nein. Bevor ich zu Dreynschlag kam, war ich eigentlich eher schüchtern… oder sagen wir: sehr zurückhaltend, dafür immer schon deppert. (lacht) Aber ansonsten hätte ich ja auch nicht zu ihnen gepasst. Ich war ungefähr 26 Jahre alt, als ich zu Dreynschlag kam und Schaukampf habe ich dort angefangen. Auf die Bühne kam ich erst nach Dreynschlag, als wir (die Dreynschlag-Truppe) beim Theater im Rabenhof gespielt haben. Bei ein paar Filmen und Fernsehproduktionen haben wir dann auch mitgespielt (Tom Turbo, Land und Leute, Das Schwert im Stein, uvm.). Singen tue ich, seit ich sechs Jahre alt bin und jetzt mache ich seit zwei Jahren eine Ausbildung zum klassischen Tenor. Aber ich habe keine Schauspielausbildung oder Ähnliches und auch keine Ambitionen in die Richtung. Ich lerne deshalb Singen, weil ich es will, weil es Spaß macht und weil es eine körperliche Herausforderung ist. Singen ist unglaublich anstrengend. Die Stimmbänder sind wie ein Muskel, den man trainieren muss.
Machst du derzeit überhaupt noch Historisches Fechten und wenn ja, was?
Hin und wieder, wenn ich Lust habe. Ich prügle mich noch gerne mit Trainingspartnern. Aber so richtig wie früher nicht mehr. Meine Verletzungen sind mittlerweile einfach zu groß und zu nachhaltig. Ich bin derzeit Mitglied bei Die Lange Schneyd und gehe einmal alle zwei Monate zum Training. Momentan bereite ich mich aber gerade auf die Staatsmeisterschaft im Kraftdreikampf vor – und wenn ich aus dem Training rauskomme, schaffe ich es geradeso zum Auto und nicht mehr ins Fechttraining. Früher kamen HF, der ÖFHF, der Dreynevent usw. vor allem anderen. Ich bin drei Jahre lang nicht arbeiten gegangen, um mehr Zeit für alles zu haben. Ich beschäftige mich immer noch fast täglich mit Historischem Fechten, aber meine Prioritäten haben sich inzwischen einfach geändert.
Wie machst du am liebsten Sparring?
Am liebsten mit einer stoßsicheren Brille und einem Zahnschutz: Nicht zu viel Schutzausrüstung. Und mit Feder, ja, hauptsächlich wegen dem Gewicht, weil meine Handgelenke vom Schaukampf schon ziemlich ramponiert sind. Mit Maske, wenn mein Gegenüber die haben möchte.
Und was machst du, wenn du gerade nicht beim Training vor dich hin schwitzt?
Naja… im Moment schwitze ich – zumindest beim Fechten – nicht wirklich. Beim Training der Langen Schneyd stehe ich meistens nur daneben und halte Maulaffen feil. (lacht) Aber sonst: Gewichtheben, Singen und hauptsächlich arbeiten. Wobei Gewichtheben und Arbeiten momentan die meiste Zeit fressen. Ich bin seit einem Monat nicht mehr zur Singstunde gekommen. Dafür singe ich im Büro – wenn ich allein bin – oder zu Hause. Gelegentlich finde ich sogar Zettel mit Musikwünschen von meinen Nachbarn auf meiner Tür…
Wenn du deine Anfangszeit im Historischen Fechten mit jetzt vergleichst, was hat sich geändert?
Alles! Wirklich. Alles hat sich verändert und es ist unglaublich, wie es sich entwickelt hat. Als wir 2002 zum Beispiel das erste Mal nach Dijon gefahren sind, waren wir die einzigen dort ohne Fechtmasken und mit Stahlschwertern. Alle anderen hatten Fechtmasken und Shinais. Damals wurde das Shinai von den meisten als das ultimative Hilfsmittel gegen gebrochene Knochen gesehen… Also kauften wir uns Fechtmasken und Shinais. Nur fanden wir letztere nicht so toll. Also versuchten wir es mit Holzschwertern. Das hat auch nicht funktioniert. Also landeten wir bei Fechtmasken und Stahlschwertern. Dann kam Alex Kiermayer (Ochs) irgendwann mit einem Prototyp einer Hanwei-Feder. Dann besorgten sich alle Fechtfedern, allerdings keine von Hanwei, sondern von unserem Haus & Hof-Schmied. Ich glaube das war irgendwo 2008 oder 2009. Dann begann die Diskussion um andere Ausrüstungsgegenstände aus anderen Sportarten, die man als Schutz verwenden könnte, ohne dass sie zu sehr behindern: Lacrosse-Schutzpanzer, Eishockey-Ausrüstung usw. Ich habe dann angefangen gegen 2012/2013 mit PBT HEMA-spezifische Ausrüstung zu entwickeln.
Ich hätte mir damals nie vorstellen können, dass es einmal eigene Sportartikellinien für HEMA geben würde. Oder dass ich für Historisches Fechten einmal nach Amerika fliegen würde. Und das alles nur, weil ich 1999 meinte: Highlander ist cool! Das ist echt arg. Auch die sportpolitische Haltung hat sich geändert. Wir sind nicht mehr die „dummen Ritter“, sondern die, die historische Stile rekonstruieren. Dass die Hofjagd- und Rüstkammer zu uns kam und uns für die Lange Nacht der Museen haben wollte, nachdem sie uns 5 Jahre lang die Tür vor der Nase zugeschlagen hatte… Ist zwar mittlerweileauch schon wieder ewig her, aber das wäre am Anfang absolut undenkbar gewesen.
Was ist gleich geblieben?
Ich trage nach wie vor kurze Hosen und Leiberl beim Fechten. Und das wird sich wohl nie ändern. (lacht)
Was möchtest du den österreichischen „HFlern“ noch abschließend mit auf den Weg geben?
Esst mehr Kebab. (lacht) Nein. Sie sollen es ernster nehmen in dem Sinne, dass sie sich bewusst machen sollen: Das Ding in ihrer Hand ist eine Waffe. Natürlich: Wenn die Polizei sie fragt, dann ist es ein Sportgerät, aber sie sollen damit so agieren, als ob es eine Waffe wäre und den Respekt davor bewahren.
Vielen Dank für deine Zeit und das Gespräch.
Interview geführt von Elisabeth Orion, Mai 2019
Fotos: Harald Winter (privat)