Interview mit Christoph Kaindel – Die ersten Schritte
„Am Anfang hatten wir NICHTS.“
In unseren letzten Beiträgen haben wir uns mit Mitbegründern des ÖFHFs zusammengesetzt. Dieses Mal machen wir noch einen weiteren Schritt zurück in die Entstehungszeit des international wohl bekanntesten österreichischen Vereins: Christoph Kaindel war einer der Gründer von „die Liechtenauer Fechter“ – besser bekannt als „Dreynschlag“. Er war einer der ersten, die Rekonstruktionsarbeit betrieben und die europäische Fechtgeschichte intensiv erforschten. Auch wenn er nicht mehr als Fechter aktiv ist, kämpft er nach wie vor dafür, dass die Erkenntnisse aus dem HEMA-Bereich ihren Weg in den wissenschaftlichen und allgemeinen Diskurs finden.
Bio
Christoph Kaindel begann nach der Matura 1984 Ju Jitsu zu trainieren. Durch seinen Trainer Michael Baranyai wurde er auf Ju jitsu-ähnliche Techniken des mittelalterlichen Ringens aufmerksam. Während des Studiums der Geschichte stieß er auf die Talhoffer-Editionen von Hergsell, sowie auf die Bücher von Hils und Wierschin. Anhand dieser Vorlagen begann er mit einer Gruppe von Freunden Mitte der 90er Jahre, spätmittelalterliche Kampftechniken zu rekonstruieren. 1998 wurde der Verein „Die Liechtenauer Fechter“ gegründet, auch bekannt unter dem Auftrittsnamen „Dreynschlag“. Als Historiker interessiert sich Christoph Kaindel nicht nur für die Technik selbst, sondern auch für die Rolle des Kampfes in der Gesellschaft und schrieb darüber 2006 in seiner Diplomarbeit „Fauststraich und Messerzucken“. Er war außerdem der erste, der Ringeck aus dem Frühneuhochdeutschen ins zeitgenössische Deutsch übertrug und so für viele Fechter und Fechterinnen eine bessere Grundlage für Studien und Rekonstruktionsarbeiten schuf.
Du bist seit 2007 nicht mehr aktiv. Daher bist du für viele Fechter und Fechterinnen, die noch nicht so lange dabei sind, wahrscheinlich ein unbeschriebenes Blatt. Wie hat alles angefangen?
Was mein Interesse an Fechten überhaupt angestoßen hat, war, dass ich mit 17 anfing, Table-Top Rollenspiele zu spielen. Ein paar Freunde brachten Advanced Dungeons & Dragons aus den USA mit, und das spielten wir dann fast jedes Wochenende. Nur kam uns dabei etwas deppert vor, dass man mit 17 Hitpoints anfängt und bis zum letzten Hitpoint voll da bist. Dann spielten wir RuneQuest, da hat man 6 Hitpoints und wenn auch nur einer fehlt, schaut schon alles anders aus. Das war schon besser. Dann fingen wir mit Live Rollenspiel an, irgendwann so Mitte der 80er-Jahre. In der Zeit fing ich dann auch an, Ju Jitsu zu trainieren.
Warum genau Ju Jitsu?
Ich hatte schon als Kind mal ein paar Jahre Judo gemacht. Als ich dann mit meinem Studium begann, bekam ich mit, dass am Universitäts-Sportinstitut Ju Jitsu angeboten wurde. Mein dortiger Trainer schrieb eine Dan-Arbeit – ich weiß nicht mehr genau für welchen Dan… fünften Dan glaube ich – über Geschichte der Kampfkunst. Da behandelte er auch Fechtbücher, oder zumindest den Ringerbestandteil von Fechtbüchern. Eben das, was damals greifbar war, und das war eben noch nicht sehr viel. Vom Weinmann Verlag gab es so ein Kompendium: „Chronik alter Kampfkünste“, da waren Teile aus dem Dürer dabei und noch zwei andere Ausschnitte von Ringerteilen aus Fechtbüchern. So wurde ich darauf aufmerksam und dachte mir: „Oha! Sowas wie Ju Jitsu gab es bei uns auch. Nicht uninteressant!“ Über mein Geschichtsstudium stieß ich auf die Bücher von Hans Peter Hils und Martin Wierschin. Vor allem Wierschins Transkription von Ringeck interessierte mich dann sehr. Ich hab reingeschaut und mir gedacht: „Naja, eigentlich könnte man das doch mal ausprobieren!“ Ringeck beschreibt ja die Bewegungsabfolge schon sehr gut.
Ringeck war also bereits von Wierschin transkribiert worden, als du das erste Mal auf ihn gestoßen bist?
Wierschin hatte Ringeck schon in den 60ern transkribiert, ja – nicht fehlerfrei – später gab es dann bessere Transkriptionen. Aber es war schon mal ganz brauchbar. Ich hab das Ganze später dann ins Hochdeutsche übersetzt, es also noch lesbarer gemacht. Nicht wissenschaftlich allerdings, nur damit man es eben überhaupt verwenden konnte. Und dann haben wir es ausprobiert, um zu schauen, was man mit dem „Zeug“ machen kann.
Kompendium Chronik alter Kampfkünste (Weinmann-Verlag).
„So wurde ich darauf aufmerksam und dachte mir: „Oha! Sowas wie Ju Jitsu gab es bei uns auch. Nicht uninteressant!“
Was habt ihr an Ausrüstung für die Rekonstruktionsarbeit verwendet?
Am Anfang hatten wir NICHTS. Das muss man sich mal vorstellen. Es gab ja keine Infrastruktur. Wir arbeiteten damals im Training mit Bokken und Shinai aus dem japanischen Kendo. Teilweise auch mit Tai-Chi-Schwertern. Erst später kamen wir dann darauf, dass im ehemaligen Ostblock eine ganz gute Fechter-Infrastruktur existierte. Dort gab es viele Fechtvereine, die hauptsächlich Schaukampf machten. Das dürfte davor im Kommunismus harmloses Freizeitvergnügen gewesen sein. Man beschäftigt sich mit dem Mittelalter, das ist lang her, also keine Dissidenten. Die hupfen halt in Kostümen herum und fechten.
Da es mehrere Vereine gab, konnte man dort auch Fechtwaffen kaufen. In Prag zum Beispiel. Ich glaube KK-Arts hießen die dort (heute zu finden unter Armouronline.com). Das waren massive Stahltrümmer, die sich überhaupt nicht biegen ließen.
Die waren für Schaukampf konzipiert?
Ja, die waren für Schaukampf konzipiert. Aber es kommt eben drauf an, wie man es betreibt. Irgendwann gab es dann einen Schmied, den Buresch in Tschechien bei Drosendorf kurz hinter der Grenze. Dort konnte man dann auch auf Bestellung Schwerter machen lassen, die waren schon etwas besser. Buresch war kein Schaukampfspezialist, es waren also keine Museumsrepliken, aber die funktionierten ganz gut, obwohl sie recht schwer waren. Die waren aus gutem Federstahl und konnten sich wirklich biegen, waren elastisch und hatten einen guten Schwerpunkt. Buresch wurde dann zum „berühmten langsamen Schmied“, weil er irgendwann so viele Aufträge bekam, dass er nicht mehr hinterherkam. Wir sagten auch, er sei der reichste Mann des Dorfes: Was da an Westlern zu ihm kam und kaufte… ich glaube er war wirklich nicht arm!
Die ganze Mittelalter-Szene ging zu ihm?
Ja, damals gab es zwar noch nicht so viele, aber alle gingen zu Buresch. Dort konntest du einfach für halbwegs günstiges Geld Ausrüstung besorgen. Und seine Schwerter wurden auch immer besser mit der Zeit.
Kannst du kurz zusammenfassen, womit du dich in deiner Diplomarbeit „FAUSTSTRAICH UND MESSERZUCKEN – Der informelle Zweikampf im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit“ befasst hast?
Es geht um Raufereien und Schlägereien im späten Mittelalter bis in die frühe Neuzeit. Ursprünglich verfolgte ich das Ziel, ein Gesamtkompendium der Fechtkunst des Mittelalters zu verfassen. Das war ein bissl… naja… es wäre eine Herausforderung gewesen. Mein Professor (Herr Professor Karl Brunner) hat mir dann – zum Glück – gesagt: Fechten ist interessant als Thema, das passt; aber ich soll doch auch etwas darüber schreiben, wie es in die Gesellschaft hineinpasst. Also eben nicht nur die Technik selbst beschreiben – das hat ihn jetzt nicht so sehr begeistert – sondern er wollte wissen, WER die Handschriften und Fechtbücher überhaupt verwendete und zu welchem Anlass, WOZU und so weiter. Da kam dann eh genug dabei raus und es war auch sehr spannend, sich damit zu beschäftigen. Ich kam dann hinter so Dinge, wie dass es eben nicht stimmt, dass Bauern keine Waffen tragen durften. Es gab in manchen Regionen zwar Erlässe, die den Bauern zum Beispiel das Tragen von Schwertern untersagten oder es in einem bestimmten Kontext untersagten. Oder sie durften keine zweischneidigen Klingen haben oder bestimmte Waffen nur außerhalb des Dorfes tragen. Aber diese Verbote waren immer auf ein Gebiet beschränkt und an gewisse Bedingungen geknüpft. Pauschale Aussagen sind immer gefährlich. Meistens wenn irgendwo steht „Im Mittelalter durfte man das und das nicht.“ ist es FALSCH.
Dich hat also ursprünglich das WIE angespornt und dann wollte dein Professor, dass du dich auch mit den anderen Fragen beschäftigst: Wer, wann, wo, warum… Die Leute im Historischen Fechten beschäftigen sich ja fast ausschließlich mit dem WIE. Was macht die anderen Fragen für dich so interessant?
Was ich sehr spannend fand, war die Frage: Wofür wird Gewalt eingesetzt? Gewalt ist im Grunde ein Kommunikationsmittel. Du möchtest dich in der Hierarchie entweder halten oder erheben. Du möchtest zeigen, dass du deine Ehre verteidigen kannst. Das heißt eben auch, dass Gewalt meistens vor Zuschauern stattfindet. Es geht nicht nur um die zwei, die kämpfen, sondern auch um die, die zuschauen. Die Kämpfer schicken eine Nachricht an die Zuschauer und zeigen ihnen, wer sie sind und wie sie sich schlagen können – im wahrsten Sinne des Wortes. Insofern ist Gewalt ein Kommunikationsmittel.
Interessant war auch, dass die Kämpfenden sehr oft aus der gleichen gesellschaftlichen Schicht kamen. Nicht unbedingt aus der Unterschicht, sondern sie waren teilweise irgendwelche Richter oder höhere Bürger – und dass sie ja auch nach der Auseinandersetzung weiterhin miteinander leben mussten. Es war nicht so, dass immer um Leben und Tod gekämpft und der andere umgebracht wurde. Gelegentlich hatten die Menschen einfach Konflikte, es kam zu Raufereien oder Rangeleien, aber sie lebten im selben Ort und trafen immer wieder aufeinander. In der Gesellschaft gehörte Gewalt in einem bestimmten Ausmaß einfach dazu.
Das Ganze hängt auch mit anderen Aspekten des Mittelalters zusammen. Kaum jemand konnte lesen und schreiben. Das heißt, es war irrsinnig wichtig, dass erzählt wurde, was passiert. Und die Zeugenschaft spielte deshalb eine sehr wichtige Rolle: Dass jemand dabei ist bei einem wichtigen Ereignis. Denn ein Ereignis, bei dem niemand dabei ist, hat nicht stattgefunden.
Christoph Kaindel und Harald Winter backstage beim Fechtevent in Bayreuth 2003.
„Gewalt ist im Grunde ein Kommunikationsmittel. Du möchtest dich in der Hierarchie entweder halten oder erheben. Du möchtest zeigen, dass du deine Ehre verteidigen kannst. Das heißt eben auch, dass Gewalt meistens vor Zuschauern stattfindet.“
Also in die heutige Zeit übersetzt: „Video – or it didn’t happen!“?
Genau. Ob es jetzt eine Hochzeit ist, ein Begräbnis oder ein Testament – da ist es ja heute noch so, dass die Zeugen dabei sein müssen. Das war damals auch so. Du brauchtest einen Zeugen. Eben zum Beispiel einen Zeugen dafür, dass du deine Ehre verteidigen kannst, wenn dich jemand angreift. Ehre war mit gesellschaftlichem Status verbunden, aber auch im Wirtschaftsleben wichtig. Wer Ehre verloren hatte, mit dem wollte auch niemand Geschäfte machen.
Kämpfen als Demonstration?
Kämpfen als Demonstration, und daraus lassen sich auch wieder andere Dinge erklären. Wir haben ja in Fechtbüchern teilweise unrealistische Kampftechniken, wo man sich denkt: „Ja, geh bitte! Das funktioniert ja nie.“ Man muss sich aber den Kontext dazu vorstellen. Vielleicht hat es tatsächlich nie funktioniert, vielleicht hat der Fechtmeister das tatsächlich nur reingeschrieben, um zu zeigen, was für schräge Sachen er sich ausdenken kann. Aber wenn es verwendet wurde, war es einfach eine besonders „flashige“ Technik, um zu zeigen, wie gut man den Gegner erniedrigen kann. Und das Publikum denkt: „Boah, der ist super. Der kann das!“
Das findet sich bei Ringeck noch nicht so stark, eher dann bei Meyer?
Ringeck ist, gerade wenn‘s ums Ringen geht, eher auf Mordringen: Einmal PUFF und AUS. Meyer und Lecküchner haben dann eher schon die Show-Geschichten drinnen. Wo zum Beispiel eine Person zwei andere am Boden festhält und auf dem Ellenbogen draufsteht. Solche Sachen sind eher für Show gedacht und um zu zeigen, wie gut man ist. Sowas würde man also wahrscheinlich nicht machen, wenn es ums eigene Leben geht.
Das heißt die Unterscheidung zwischen Kampfdemonstration – oder nennen wir es mal „Wettkampf“ – und einem militärischen Kampf auf Leben und Tod, die gibt es eigentlich so lange wie das Kämpfen selbst?
Würde ich schon sagen. Der Kampf auf Leben und Tod findet ja tatsächlich im Krieg oder bei einem Überfall statt. Es gibt aber immer Abstufungen. Man kann aus den lückenhaften Quellen ablesen, dass grob geschätzt nur ein Viertel aller Gewaltdelikte mit einer schweren Verletzung endete. Das meiste waren irgendwelche Drohgebärden. Das Messerziehen, also Messerzucken, war schon ein eigenes Gewaltdelikt, und da passierte eigentlich nie was.
Auch spannend: Die Strafen für solche Delikte waren fast immer Geldstrafen. Du hast Kataloge, da steht dann drin: Für diese oder jene Verletzung musst du diese Geldsumme bezahlen. Und erst, wenn du das nicht bezahlen kannst, kann es sein, dass dir als Wiedergutmachung zum Beispiel mit dem Dolch durch die Hand gestochen wird. Aus den Katalogen kann man auch herauslesen wie gekämpft wurde: Zum Beispiel kostet ein Stich in den Hintern so und so viel. Man kann sich also vorstellen, in welchem Zusammenhang so eine Wunde entstanden ist…
Für welche Verletzungen gab es die höchsten Strafen?
Wichtig laut Katalog ist erstens, ob die Wunde blutet oder nicht. Zweitens, ob der Gegner umfällt oder nicht. Wenn du ihm also ins Gesicht schlägst, kostet es so und so viel, wenn er dann noch blutet kostet es mehr, wenn er umfällt: wieder ein anderer Betrag, wenn er umfällt UND blutet wieder mehr. Das ist wirklich ganz genau aufgelistet. Auch hoch bestraft wurden sogenannte Schamwunden, also gut sichtbare Verletzungen im Gesicht.
Die Höchststrafe ist übrigens meistens Verbannung. Wenn du jemanden im offenen Kampf umbringst, wirst du verbannt. Schlimm genug, aber kein Todesurteil in vielen Fällen. Jemanden im Zuge eines Ehrenhandels zu verletzen oder sogar zu töten, wurde jedenfalls relativ milde bestraft. Beim heimtückischen Mord aus dem Hinterhalt sah das ganz anders aus.
Die Strafen heute sind zwar nicht in solchen Katalogen aufgelistet. Die Grundidee besteht aber immer noch. Leichte Körperverletzung, schwere Körperverletzung und so weiter.
In deiner Diplomarbeit hast du auch ein schönes Kapitel, wo du mit den „Mythen der Fechtgeschichtsschreibung“ aufräumst, die wir größtenteils ja dem Übereifer vieler Autoren des 19. Jahrhunderts zu verdanken haben. Kann man das so sagen?
Einerseits Übereifer, andererseits auch Faulheit. Übereifer insofern, als dass sie oft selbst Fechter waren und aus ihrer eigenen Praxis auf die Vergangenheit geschlossen haben. Alles was sie selber machen ist total super und alles was früher war, muss also eher primitiv gewesen sein. Faulheit deshalb, weil sie sehr viel voneinander abgeschrieben haben, ohne zu hinterfragen. Man muss aber auch sagen, dass viele Quellen damals nur schwer oder gar nicht zugänglich waren.
„Der Ritter kam nicht alleine aufs Pferd“ verdanken wir also dem viktorianischen Zeitalter?
Dabei handelte es sich eigentlich um eine Satire. Diese Dinge finden sich ja schon in Don Quijote (1605). Solche Rittersatiren gibt es seit dem Spätmittelalter, wo man sich über die Ritter lustig gemacht hat. Im 19. Jahrhundert wurde das dann in der „quasi wissenschaftlichen“ Literatur weiterverbreitet – die Geschichtsschreibung ist ja als Wissenschaft noch nicht so alt. Die Autoren nahmen es ernst, ohne sich die Mühe zu machen, selbst mal in ein Museum oder eine Waffensammlung zu gehen und die Dinge mal anzusehen oder in die Hand zu nehmen. Manche versuchten es – Alfred Hutton (1839-1910) zum Beispiel machte ja sogar Fechtführungen mit Schwertern. Allerdings wurde alles dem elitären und subjektiven Ansatz der viktorianischen Gesellschaft untergeordnet: Alles was nicht wir sind, ist nicht so gut.
All diese Mythen bestehen teilweise noch bis heute. Obwohl es doch immer mehr Leute gibt, die versuchen ihnen durch Forschungsarbeit und Praxistests entgegen zu wirken. Wenn man zum Beispiel das Buch Schools And Masters of Fencing von Egerton Castle (1858-1929) auf Amazon sucht – in dem doch ziemlicher Topfen drinnen steht – dann hat es super Bewertungen und wird immer noch als ein Standardwerk für jeden gehandelt, der Fechten lernt oder sich mit der Geschichte des Fechtens auseinandersetzen möchte. Warum ist es so schwer, gegen diese Mythen anzukämpfen?
Hm… Ich glaube, es ist auch die Darstellung in Film, Fernsehen und Serien. Dort wird teilweise immer noch dieses „brutale Dreinschlagen“ gezeigt. Es ist jetzt etwas besser als früher. Aber man sieht trotzdem noch Menschen in schweren Rüstungen herumhampeln, die aufeinander einprügeln. Auch im Historiker-Mainstream hat sich das Ganze noch nicht so wirklich durchgesetzt. Fechten ist sowieso ein Randthema, das die meisten Historiker nicht interessiert. Jetzt gibt es zum Glück ja schon einige Fechter, die auch Historiker sind und die versuchen das aufzubrechen. Aber das dauert natürlich seine Zeit. Ich versuche es seit Jahren. Im Universitätszentrum auf der Schmelz (Wien) unterrichtet Herr Professor Rudolf Müllner Sportgeschichte, die im Rahmen der Sportwissenschaft unterrichtet wird. Mit ihm habe ich schon vor Jahren über das Thema diskutiert. Auch er sagt, die ganze Sportgeschichte ist leider nur ein sehr kleines Thema. Noch dazu liegt der Fokus zuerst auf antiker Sportgeschichte, dann kommt lange gar nichts und schließlich wird mit der Vereinssportgeschichte ab dem 19. Jahrhundert wieder eingestiegen. Da haben wir in Österreich dann schon hauptsächlich Vereinssport: Skifahren, Fußball, und Co. Das, was zwischen der Antike und dem 19. Jahrhundert passiert, wird aus Zeitmangel in der Vorlesung nur gestreift. Und es gibt auch in Österreich kaum Leute in der Sportgeschichte, die sich damit auseinandersetzen. Ich bin in einer Mailingliste eines Netzwerkes für Sportgeschichte und war auch schon auf mehreren Treffen dort. Ich versuche jedes Mal das Fechten ein wenig reinzudrücken – so als Guerilla-Sporthistoriker (lacht) – die meisten haben aber einfach nur Vereinssportarten im Blickfeld und das ist die Hauptsache, wenn man über Sportgeschichte redet.
Christoph Kaindel und Bert Obernosterer auf dem Dreynevent 2004.
„Ich wollte einfach nur Techniken rekonstruieren und schauen, wie es funktioniert.“
Du hast vorhin die Rolle von Filmen und Serien angesprochen, als wir über die Fecht-Mythen gesprochen haben, die sich hartnäckig halten. In deiner Diplomarbeit führst du in den Quellen aber auch das Buch Swashbuckling von Richard Lane an, wo es nur um Stage Fighting, also choreographierte Kämpfe für Bühne und Film, geht. Hast du dich damit also auch auseinandergesetzt?
Ich hab mich damit beschäftigt. Als wir mit Dreynschlag anfingen, sind wir ja auf den diversesten Mittelalterfesten aufgetreten. Das schönste war beim Kaltenberger Ritterturnier (München) – eine traditionsreiche Turnierveranstaltung. Die haben uns da so eine Puppenspielerbühne gegeben – ich glaube drei mal zwei Meter – du konntest nicht mal das Schwert ausstrecken, geschweige denn Fechten. Ich weiß gar nicht mehr, was wir da gemacht haben… Ich glaub, es war eh wurst – egal (schmunzelt). Bei den Kaltenberger Ritterspielen haben wir Peter Koza kennengelernt – ein sehr wichtiger slowakischer Fechtmeister – und haben von ihm anfangs ein bisschen mitbekommen, wie man Schaufechten organisiert und choreographiert. Ein bisschen was wusste ich schon aus dem Ju Jitsu – wie man Techniken verkauft und wie man reagiert, kommt auch dort bei Vorführungen vor. Dann hab ich mir Literatur zum Schaufechten organisiert – da gibt es einiges. William Hobbs ist einer der größten Kampfchoreographen für mich (1974: Die vier Musketiere – Die Rache der Milady, 1981: Excalibur, 1995: Rob Roy, uvm.). Er hatte einen sehr guten Zugang zum Schaufechten.
An oberster Stelle stand für ihn immer: Es muss gut ausschauen und es muss für die Fechter sicher sein. Dann kommt natürlich: Der Kampf muss die Geschichte weiterbringen. Er ist wie ein Dialog. Hobbs hielt überhaupt nichts davon, eine Kampfszene in den Film hinein zu stopfen, nur weil es jetzt Zeit ist für einen Kampf. Er sagte immer, der Kampf muss ein Ziel haben, ein Dialog sein und die Charaktere der Kämpfer müssen gut rauskommen. Das war sein Zugang. Er hat zwar schon auch recherchiert und historische Techniken untergebracht, aber er hat das eben den anderen Dingen untergeordnet, unter die Charakterisierung. Das beste Beispiel ist für mich der Endkampf in Rob Roy. Den ganzen Film lang lernst du die beiden Kämpfer und ihren Kampfstil kennen: Der eine ist sehr kontrolliert, sehr ruhig und ein „perfekter“ Fechter und der andere ist impulsiv, macht sehr viel mit Kraft und geht voll rein – hält sich auch nicht unbedingt an Regeln. Das sind einfach die Charaktereigenschaften von den zweien. Die beiden treffen am Schluss dann aufeinander und… das ist sehr schön! (lacht)
Woher hattet ihr eure Ideen für die Dreynschlag-Choreografien?
Ich hab ja erzählt, dass Peter Koza uns zum Schaufechten inspiriert hat. Zwei Dinge hatten wir von ihm am Anfang übernommen: Das eine ist die Pomali-Sache. Er hatte oft Schaukämpfe, die irrsinnig dynamisch und schnell waren und plötzlich kam in Superzeitlupe irgendeine schöne Technik daher. Da haben wir gesagt: Das fladern wir und das ist auch immer wieder gut angekommen. Das zweite, was Koza schon ewig im Schaukampf-Geschäft macht: Wenn du Schaukampf mit ein paar Personen machst, kannst du kein großes Theaterstück machen. Es muss für die Zuschauer schnell verständlich sein, was passiert, also die Motivation muss sofort klar sein. Und bei Koza gab es drei Dinge, um die man kämpfen kann: Geld, Frauen und Alkohol. Das haben wir dann auch gerne verwendet.
Oder um eine Knackwurst…? (Siehe Dreynschlag-Lehr-DVD…)
Oder eine Knackwurst. Man kann es ja erweitern! (lacht) Man kann alle möglichen Geschichten machen. Aber es muss sofort verständlich sein: Ja, darum geht’s. Darum lohnt es sich zu kämpfen.
Hast du sonst vielleicht noch Filmtipps für Choreografien, die du persönlich gut findest? Oder hast du letztens vielleicht wieder was gesehen, wo du dir gedacht hast: „Geh bitte, was für ein Blödsinn!“?
Ich muss sagen, bei The Witcher waren in den ersten paar Folgen ein paar gute Kämpfe – nicht realistisch, aber lustig – in der zweiten Hälfte der Staffel war’s dann nur mehr Mist. Ich weiß nicht, warum sie das so gemacht haben. Ich erinnere mich noch an die Highlander-Fernsehserie. Da waren für die damalige Zeit sehr abwechslungsreiche und echt gute Sachen drinnen. Für mich sind die besten Filme aller Zeiten, wenn es um Kampfchoreographien geht: The Princess Bride (1987) und Excalibur (1981)!
Dreynschlag auf dem Stadtfest Schörfling 2003.
Wenn man einem Kind das Schwert in die Hand drückt und es sagt: „Boaaahh, ist das schwer!“ Dann sagt man: „Ja, daher der Name.“
Was ist das Schlimmste, was du bis jetzt gesehen hast?
Hm… Das ist ganz schwer zu sagen. Was hab ich gehasst…? Es gab mal einen King Arthur Film mit Sean Connery und Richard Gere (1995: Der erste Ritter). Das war ein unfassbarer Dreck, aber nicht nur von den Kampfszenen her. Auch die Kostüme waren der Wahnsinn… Ja. Wenn mir ansonsten noch was einfällt, schreib ich dir. Aber so ad hoc… ich verdränge das meistens ganz schnell.
Versteh ich! Nochmal zurück zu deiner Rekonstruktionsarbeit: Ich wollte dich noch ein paar Dinge zu deiner Übersetzung von Ringeck fragen. Kannst du für die Nicht-Langschwertler und faulen Fechter, die schon mit späteren Büchern arbeiten, mal erklären, was Ringeck genau ist?
Der „Ringeck” ist eine Handschrift, die in der Sächsischen Landesbibliothek in Dresden liegt. Er ist aber keine Originalhandschrift, sondern aus mehreren Teilen zusammengestellt. Nur ein Teil stammt von Sigmund Ringeck selbst. In dem Buch von Martin Wierschin ist er 1965 transkribiert worden, und ist – wie ich glaube – eben das erste Fechtbuch, das wissenschaftlich transkribiert wurde.
Und dann bist du gekommen und hast es übersetzt?
Ich hab es übersetzt, aber nicht mit einem wissenschaftlichen Anspruch, sondern nur, damit man es eben im Training verwenden kann.
Was ist jetzt genau das Problem, wenn ich mit so einer Handschrift auf Frühneuhochdeutsch arbeite?
Also, ich hab eigentlich gar kein so großes Problem darin gesehen. Ich hab eigentlich nicht verstanden, warum man sich so lange nicht mit dem Fechten beschäftigt hat. Denn Frühneuhochdeutsch ist, wenn man sich mal eingelesen hat, gar nicht so schwer zu verstehen. Es ist nicht wie Mittelhochdeutsch, wo man jeden Satz zehn Mal lesen muss und dann vielleicht immer noch Schwierigkeiten hat. Es liest sich eher wie ein Dialekt. Natürlich kann man trotzdem Fehler machen. Aber wenn man es ausprobiert und vielleicht auch mehrere Handschriften hat, die man vergleichen kann, dann kommt man auf die Fehler auch drauf. Am Anfang arbeiteten wir ja nur mit Ringeck, also ohne Vergleichsmöglichkeit. Das war nicht so gut. Später gabs dann internationale Zusammenarbeit, wo man auch PDFs austauschte. Da gabs dann mehr Basis. Es gibt ja bis heute bei manchen Sachen Uminterpretationen und Änderungen. Ein spannendes Beispiel dafür: Ein deutscher Fechter – Tilman Wanke – hat vor glaub ich 10 Jahren in einem Artikel nachgewiesen, dass mit „langes Schwert“ überhaupt nicht das Schwert an sich gemeint ist, sondern die Fechtführung. Das erklärt natürlich viel, weil du das Schwert entweder lang oder kurz benutzen kannst, je nachdem, wie du es eben verwendest. In der Literatur steht das oft bis heute noch falsch drin – also beim Hils 1985 gibt es noch ein langes Kapitel darüber, wie groß das Lange Schwert ist, wie groß das kurze Schwert ist usw. Und im Lichte der Erkenntnis, dass gar nicht das Schwert gemeint ist, sondern die Führungsweise, tut man sich natürlich leichter mit Klassifizierungen.
Die kunsthistorischen Bezeichnungen für Waffen haben natürlich grundsätzlich relativ wenig Sinn aus fechterischer Sicht. Ich glaub von Ewart Oakeshott gibt es zum Beispiel noch Schwertkategorien von den Klingen abgeleitet. Anderenorts wird rein nach Form des Knaufes unterschieden. Das sind Kategorisierungen, wo man sich denkt: „Ja okay, ich kann es in eine Schublade stecken, aber es ergibt einfach keinen Sinn.“
Laut Wikipedia ist deine Ringeck-Übersetzung und die Überarbeitung durch Jörg Bellinghausen auch heute noch Grundlage für alle Ringeck-Bücher.“ Harald Winter meinte mal zu mir, ohne dich und deine Übersetzung hätte es wahrscheinlich gar keinen HEMA-Boom im Bereich des Langen Schwertes in Österreich oder sogar im deutschen Sprachraum gegeben. Was sagst du dazu?
Ich weiß es nicht. Kann ich wirklich nicht sagen. Wir haben anfangs isoliert gearbeitet, dann haben wir nach ein paar Jahren Kontakte zu den Münchner Fechtern geknüpft – Hans Heim, Alex Kiermayer und ein paar anderen – aber ich weiß jetzt nicht, womit die angefangen haben. Ich hab meine Übersetzung schon ein paar Leuten geschickt, nachdem sie fertig war. Ich weiß aber nicht, wer sie verwendet hat; und die hatten natürlich auch Zugang zu anderen Quellen und Büchern. Also ich denk mir: Die Szene ist gleichzeitig an mehreren Stellen entstanden und über Internet hat man sich dann erstmals vernetzt. Ich find es übrigens sehr spannend, dass ein modernes Medium wie das Internet dabei mitgeholfen hat, dass man diese alten Bücher studieren konnte, die eben erst durch das Internet wirklich verbreitet werden konnten.
Was auch lustig war: Ganz am Anfang, also Anfang der 90er, hab ich mit John Clements korrespondiert. Wir haben Mails ausgetauscht.
Den kenn ich hauptsächlich als amerikanisches YouTube-Phänomen: „Flat of my Strong! Flat of my Strong!!!“.
Ja, Mister „Parry with the flat blade”. Ich hab ihn nicht persönlich getroffen, aber mit ihm korrespondiert. Ich wollte mich mit ihm ernsthaft austauschen, hab ihm unsere Erkenntnisse erläutert und wollte wissen, was er davon hält. Er hat nix davon gehalten (lacht). Ich hab zwei, dreimal mit ihm gemailt, aber der Austausch war… nicht sehr fruchtbar.
Ihr (Dreynschlag) habt euer Wissen damals ja nicht nur auf zahllosen Mittelalter-Events und bei Museumsveranstaltungen weitergegeben, sondern ihr wurdet auch von der Universität Wien eingeladen. Wie ist das abgelaufen? Seid ihr in Montur im Audi Max gestanden?
Im Audi Max waren wir nicht, aber in irgendeinem Hörsaal der Historiker. Eben über meinen Professor Karl Brunner, der gesagt hat, ich könne das ja mal herzeigen. Wir haben mit Oli(ver Walter) damals eine kleine Vorführung gemacht und ein paar Techniken hergezeigt. Dazu eine Power Point Präsentation: Wie schaut es im Fechtbuch aus? Wie funktioniert die Rekonstruktionsarbeit: Was steht Zeile für Zeile drin, welche Bewegungen gehören dazu. Wir haben das ein, zweimal gemacht auf der Uni. Bei den Sportwissenschaftlern hab ich mit (Martin) Enzi zweimal eine Präsentation gemacht – dort war das Interesse aber endend wollend. Die Historiker haben sich da schon mehr dafür interessiert als die Sportwissenschaftler. Bei der langen Nacht der Museen sind wir dann auch aufgetreten, in der Hofjagd- und Rüstkammer. Das ging auch übers Studium, weil Herr Dr. Matthias Pfaffenbichler von der Hofjagd- und Rüstkammer einer meiner Prüfer bei der Diplomprüfung war. Ich habe ihn vorher schon ein paar Jahre gekannt, weil ich natürlich als Fanboy immer wieder in der Rüstkammer war und mir alles angeschaut habe. Wir waren also schon bekannt, und so sind wir dann zur langen Nacht der Museen gekommen. 2004 war das, glaube ich.
Du musst einen guten Grundstein gelegt haben. Historische Fechter sind dort bis heute gern gesehen.
Die Hofjagd- und Rüstkammer ist die größte Sammlung adeliger Waffen und Rüstungen der Welt. Das muss man sich mal vorstellen! Und wenn man sich anschaut, wie viel Leute da reingehen jeden Tag… Heute ist es schon ein bisschen besser, aber vor 20 Jahren waren da vielleicht drei Leute am Tag drinnen. Die haben einfach relativ schlechte PR gehabt, dafür, dass sie eigentlich durchaus Spannendes herzuzeigen haben. Und bei den Vorführungen waren da schon sehr viel Leute da und haben sich das angeschaut. Also ich denke, das ist dann auch gut angekommen bei den Verantwortlichen.
Die größte Sammlung historischer Waffen und Rüstungen überhaupt ist übrigens im Grazer Zeughaus. Also wir sind da in Österreich ganz gut versorgt.
Hast du während deiner Zeit bei Dreynschlag gemerkt, dass sich die Reaktionen der Menschen auf euch verändern oder dass das Publikum ein anderes wurde?
Bei der langen Nacht der Museen glaube ich nicht. Da hast du immer Leute, die einfach von einem Museum zum anderen wandern. Ich war auch nicht so oft dabei, dreimal, glaube ich. Ich hab keinen großen Unterschied festgestellt. Das einzige war, dass der Herr Dr. Pfaffenbichler uns immer sehr aufmerksam beobachtet hat – natürlich – weil ja der Marmorboden… also, wenn man mit der Mordaxt ordentlich durchzieht… (lacht). Am Anfang waren wir draußen auf der Stiegenplattform. Das war ein bisschen riskant. Später dann bekamen wir den etwas weniger wertvollen Holzparkettboden. Das war dann sicherer für den Dreynschlagauftritt. Und die Schweißperlen des Herrn Doktor waren kleiner.
Dreynschlag/ Die Liechtenauer Fechter wurde von Christoph Kaindel – also dir – Walter Engel und Oliver Walter 1998 gegründet. Wem von euch dreien haben wir den berühmt berüchtigten Dreynschlag-Humor zu verdanken?
Ich glaub, das waren wir schon alle drei. Der wichtigste Witz, auf jedem Mittelalterfest eingesetzt: Wenn man einem Kind das Schwert in die Hand drückt und es sagt: „Boaaahh, ist das schwer!“ Dann sagt man: „Ja, daher der Name.“
Ich tippe jetzt einfach mal auf Gruppendynamik?
(Lacht) Ja. Gemeinsames blöd sein führt dann zu… ja. Genau. (Lacht)
Ich kann nur sagen: Der Name Dreynschlag ist definitiv mir zu verdanken. Das war nämlich ein Liverollenspielcharakter von mir, den ich mal gespielt hatte: Siegfried von Dreynschlag. Das war ein völlig durchgeknallter paranoider Ritter, der rund um sich nur Hexen und Monster sah. War völlig irre, der Kerl.
Stadtfest Schörfling 2003.
„Vielleicht hat es tatsächlich nie funktioniert, vielleicht hat der Fechtmeister das tatsächlich nur reingeschrieben, um zu zeigen, was für schräge Sachen er sich ausdenken kann. Aber wenn es verwendet wurde, war es einfach eine besonders „flashige“ Technik, um zu zeigen, wie gut man den Gegner erniedrigen kann.“
Universität Wien 2003.
„Wir haben mit Oli(ver Walter) damals eine kleine Vorführung gemacht und ein paar Techniken hergezeigt. Dazu eine Power Point Präsentation: Wie schaut es im Fechtbuch aus? Wie funktioniert die Rekonstruktionsarbeit: Was steht Zeile für Zeile drin, welche Bewegungen gehören dazu. Wir haben das ein, zweimal gemacht auf der Uni.“
Auf der Vereinshomepage und auch auf Wikipedia steht, dass ihr den Namen von einem Liechtenauer-Zitat abgeleitet haben sollt: „Haw stark und fest dreyn“ (Wikipedia abgerufen am 18. Juli 2020, HP von Dreynschlag abgerufen am 22. Juli 2020).
Glaub ich nicht. Es kann sein, dass es nachträglich dann so rationalisiert wurde. Aber eigentlich nicht (lacht). Ah – und die dummen Hüte sind ziemlich sicher eine Oli-Erfindung.
Wie habt ihr drei damals zusammengefunden?
Das war übers Live-Rollenspiel. Die Rollenspiel-Gruppe Ariochs Erben hatten wir Ende der 80er – 1987 oder 1988 – gegründet. Oli und Walter kamen circa ein bis zwei Jahre später dazu. Interessant ist, dass wir ursprünglich alle einen anderen Kampfsport gemacht hatten, also eigentlich keine Fechter waren: Oli(ver Walter) machte Karate und Walter Engel Ju Jitsu wie ich. Und ja, das war unser Hintergrund.
Ihr hättet theoretisch ja einfach zu dritt euren Spaß haben können. Warum habt ihr einen Verein gegründet?
Naja, der Spaß kam dann auch durch die Auftritte. Die Vereinsgründung war dann erst nach dem ersten Auftritt, damit wir als Ansprechpartner für die Veranstalter sichtbarer waren und auch, damit wir die Turnsäle mieten konnten. Der Verein war am Anfang eben auch nicht als Sportverein gedacht. Es war einfach eine kleine Freundesgruppe, die miteinander trainierte und Spaß hatte. Es sind recht schnell noch andere Freundinnen und Freunde dazu gekommen, die meisten vom Live-Rollenspiel. Wir waren etwa acht Leute in der ersten Zeit.
Ihr habt also eigentlich mit den Schaukämpfen angefangen, nebenher wurde dann immer mehr sportlich trainiert und die Quelle interpretiert?
Nein, wir haben von Anfang an Techniken rekonstruiert. Aber das System, das wir anfangs hatten, war eher Schaukampf-orientiert. Also etwas Drill-artig, mit Schlagabfolgen. Links, rechts, oben, unten usw., Blöcke, die man dann zu Choreografien zusammensetzen konnte. Die tatsächlich historischen Techniken, die komplizierteren Sachen, haben wir dann eher als Highlights eingesetzt. Der Großteil der Choreografie war meistens relativ simpel, und dann kamen aber ein paar High Points, wo wir dann die historischen Sachen wirklich eingebaut haben. Es war also schon immer dabei, aber nicht das einzige.
Warst du auch als Trainer aktiv?
Ja, aber nur die ersten Jahre und ein paar Mal auf internationalen Events. Also die ersten zwei Dijon-Events hab ich mitgemacht, dann auch welche in Bayreuth und in Zürich. Also ein paar Events in den ersten 2000er-Jahren.
Weil du Dijon angesprochen hast. Das erste internationale Event war Dijon 2002, richtig?
Das allererste internationale Event war in München im Jahr 2001. Da haben wir uns mit den Münchnern zusammengesetzt, ca. 20 Leute, also nicht groß.
2001 also München, 2002 Dijon und 2003 habt ihr gesagt: Das können wir auch …und den Drenyevent aus dem Boden gestampft?
Genau. Ich war aber nicht die treibende Kraft beim Dreynevent. Das wäre mir zu mühsam gewesen. Harry und Oli wollten das gern mal ausprobieren. Und ja, es hat dann auch ganz gut funktioniert und ist stetig gewachsen.
Du hast 2006 noch deine Diplomarbeit geschrieben. 2007 hast du aufgehört mit HEMA. Was ist passiert?
Als ich die Diplomarbeit geschrieben habe, hab ich eigentlich schon gar nicht mehr trainiert und bin nur mehr ein- oder zweimal im Jahr aufgetreten. Ich bin dann nach Gablitz gezogen und es war mir einfach zu stressig wegen dem Training am Abend noch in der Stadt zu bleiben. Außerdem ging es dann auch schon immer mehr in Richtung Sparring mit Schutzausrüstung. Und das habe ich eigentlich nie wollen. Ich hab nie Wettkämpfe gemacht, kein einziges Mal, auch nicht früher in Judo und Ju Jitsu. Ich wollte einfach nur Techniken rekonstruieren und schauen, wie es funktioniert. Und die Schaukämpfe fand ich auch lustig, einfach mit dem Publikum interagieren, das ist auch nett. Aber Sparring und Wettkämpfe hab ich nie gebraucht. Das war dann aber immer mehr die Richtung, wo es hingegangen ist und das hat mich einfach nicht mehr so begeistert.
Du bist jetzt mein dritter Interviewpartner, der mir sagt: Die Turnier- und Wettkampfszene ist eigentlich nicht so meines. Warum glaubst du, tendiert die Szene immer mehr in diese Richtung?
Es gibt einfach viele Leute, denen der Wettkampf Spaß macht. Ich verstehe ja, dass es schon eine Aufregung ist, wenn du versuchen musst, präzise eine gescheite Technik durchzubringen. Das macht schon Spaß, wenn man Lust drauf hat. Ich brauch es halt nicht. Es ist leider auch so – also ich hab das beim Judo und beim Ju Jitsu erlebt – dass „Spezialisten“, die nur zwei Techniken können (aber die können sie dann halt richtig) alles gewinnen. Der nimmt den anderen, macht die Technik, die er kann, haut ihn um und gewinnt. Ob das beim Fechten auch so ist, weiß ich nicht, ich kenne mich in der heutigen Fechterszene nicht mehr aus. Das ist halt irgendwie nicht so spannend. Ich finde gut choreographierte Kämpfe interessanter zum Anschauen als sportliche Kämpfe.
Glaubst du beides kann im HF koexistieren oder wird das eine das andere irgendwann auffressen?
Das kann schon koexistieren. Es gibt ja auch in Karate und Ju Jitsu verschiedene Richtungen, manche eher auf Wettkampf, andere auf Selbstverteidigung oder Show. Es ist kein Widerspruch. Die Basis ist die gleiche, aber man muss sich halt darauf einigen, dass es nicht dasselbe ist, was man macht.
Und um drauf zurückzukommen, dass wir am Anfang ja nichts an Ausrüstung und Infrastruktur hatten: Je mehr Leute sich fürs Turnierfechten interessieren, umso mehr Ausrüstung wird dann halt auch produziert. Dann ist der Zugang wiederum für die, die Turnierfechten wollen, leichter. Das läuft dann einfach von allein im Kreis.
Auf älteren Fotos sieht man vor allem die Langschwertler ja noch mit „normalen“ Schwertern, also mit breiter Klinge. Irgendwann kam dann der Punkt, an dem alle nur mehr die Fechtfedern kauften.
Ja, die Leute sind einfach Lulus geworden (lacht). Nein, die Fechtfeder ist zum Trainieren natürlich schon die bessere Alternative. Sie ist halb so schwer wie ein klassisches Buresch-Langschwert, noch dazu elastisch und damit sicherer. Für Vorführungen vor Publikum ist trotzdem ein gescheites langes Schwert besser, weil das Publikum sich sonst fragt: „Was macht der da mit dem komischen, stumpf abgeschnittenen Ding?“
Hast du noch Kontakt zu Leuten in der Szene oder fechtest du noch ab und zu?
Fechten geh ich gar nicht mehr. Ich hab aber noch ein bisschen Kontakt, schau was passiert und was die Leute machen. Ich recherchiere und forsche noch ein wenig. Ich hab für das Jahrbuch des Kunsthistorischen Museums zum Beispiel einen Artikel geschrieben über den Freydal. Das ist ein autobiografisches Buch von Kaiser Maximilian I, in dem 64 Turniere dargestellt sind, an denen er teilgenommen hat, in jeweils vier Bildern – Rennen, Stechen, Fußkampf und „Mummerei”, also Tanz und Maskenspiel. In dem Artikel habe ich versucht, die Fußkampfdarstellungen mit Fechtbüchern zu vergleichen, die Maximilian wahrscheinlich oder womöglich besessen hat, weil sie heute in der Bibliothek der Hofjagd- und Rüstkammer liegen. Aber das ist eher hobbymäßig.
Was machst du eigentlich hauptberuflich?
Ich bin beim Wiener Bildungsserver im medienpädagogischen Team. Wir unterstützen Schulen bei der Arbeit mit Medien.
Da hattet ihr in den letzten Monaten wohl ziemlich viel zu tun, was?
Ja, wir hatten mehr zu tun. Wir mussten unter anderem innerhalb von wenigen Tagen eine Schul-Cloud aus dem Boden stampfen, damit die Lehrer Materialien hochladen konnten und so… Aber da haben hauptsächlich unsere Techniker geschwitzt. Ich hab zugeschaut und gesagt: Sehr gut. (lacht)
Wir kommen zur Abschlussfrage: Du wirst in ein Häuschen auf einer einsamen Insel verbannt und darfst nur drei Dinge mitnehmen. Erstens: Einen Film.
Hm… ich muss es mir dann mehrmals anschauen. Blade Runner (1982) könnte ich mir mehrmals anschauen!
Ein Buch mit HF-Bezug.
Es gibt ein Buch, das ich früher sehr oft gelesen habe und immer schon mal wieder lesen wollte. Es heißt: Ich, Aras habe erlebt… (Josef Nyáry). Das war eine sehr schöne Geschichte. Es ging um den Helden Diomedes, der nach dem trojanischen Krieg als verschollen gilt. Und in diesem Buch wird die Geschichte von den Reisen des Diomedes erzählt, berichtet von einem Begleiter namens Aras. Ein historischer Roman, ausreichend dick. Man kann ihn also auf eine Insel mitnehmen und mehrmals lesen.
Und zuletzt: Eine historische Waffe.
Am ehesten einen Dussack. Den kann man für alles Mögliche gebrauchen. Zum Kokosnüsse aufmachen zum Beispiel. Ist, glaube ich, ein ganz nützliches Gerät.
Vielen Dank für deine Zeit und das Gespräch!
Interview geführt von Elisabeth Orion, Juli 2020
Fotos:
Porträtfoto: Lisa Badura
Chronik alter Kampfkünste – Zeichnungen und Texte aus Schriften alter Meister
entstanden 1443-1674. 2003 (6. Auflage)
Verlag Weinmann: Berlin. Fotos von Elisabeth Orion
Andere: Privat/ Dorota Kaindel