Interview mit Peter Zillinger – Wie man seinen ganz eigenen Weg geht als…

 

Kind aller Welten

Wir widmen uns einem weiteren Dinosaurier der österreichischen Szene: Peter Zillinger – der Pezisaurus zillingensis des Historischen Fechtens – kurz auch Rapierraptor. Zillinger war maßgeblich daran beteiligt, als sich Anfang der 2000er aus einer Gruppe begeisterter Fechter der Verein Klingenspiel bildete, der seit damals Historisches Fechten auf zahlreichen Darbietungen einem breiten Publikum präsentiert und näherbringt. Aber wie hat er eigentlich seinen eigenen Weg durch den Dschungel aus Bühnenfechten, Sportfechten und Historischem Fechten gefunden, was hat Tanz mit HEMA zu tun und warum befürchtet er, dass HEMA die Geschichte des Sportfechtens wiederholt?

 

Bio

Peter Zillinger gehört zu den echten Urgesteinen der österreichischen HEMA-Szene, aber auch des Schaufechtens, das er von Beginn an in den Dienst des historischen Fechtens stellte, um es auf diese Weise seinem Publikum näher zu bringen. 1993 wurde er Obmann des ersten österreichischen LARP-Vereins, Ariochs Erben: Bereits hier machte sich sein Wissensdurst und sein Wille zur peniblen Recherche bemerkbar: Geschichtliche und gesellschaftliche Zusammenhänge zu ergründen und zu verstehen. Um das zu tun, setzte er sich unter anderem mit historischer Kochkunst, mittelalterlichem Bogenschießen, Musik und Tanz auseinander. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis er schließlich beginnen sollte, auch Quellen für den korrekten Gebrauch von historischen Waffen zu studieren. 2004 gründete er mit Gleichgesinnten den Wiener Verein Klingenspiel und war im selben Jahr auch Mitbegründer des ÖFHF. In den ersten Jahren des Fachverbandes engagierte er sich als ehemaliger Sportfechter sehr für eine Zusammenarbeit mit der Akademie der Fechtkünste. Seine Bemühungen mündeten 2009 in das gemeinsame Ausbildungsprogramm des Scholars. Sein Debüt als Autor gibt er bald mit einem Beitrag zur Buchreihe „Meditations on HEMA“ (Sofa-Books), dessen zweiter Band demnächst erscheinen soll.

Wie kommt es, dass du auf meine Interviewanfrage sinngemäß geantwortet hast: „Trifft sich super, ich bin eh grad am Sammeln von Daten und Geschichten rund um Klingenspiel und meine eigene Geschichte“?

Der Auslöser dafür war eine Nachricht von Herbert (Schmidt). Ich sollte für sein zweites Buch (Meditations on HEMA) etwas schreiben. Ich hatte seine SMS inmitten einer gesundheitlich sehr schwierigen Zeit gelesen, zwischen einem Spitalsaufenthalt und dem nächsten. Ich hab zugesagt und dann unfreiwillig Nächte damit verbracht, meinen Text auf Englisch in meinem Hirn zu formen. Und dann sind mit jedem Gedanken zehn andere aus meiner Vergangenheit und meiner Geschichte gekommen. Und plötzlich war ich bei meiner eigenen Entwicklung und bei der Frage: Wie bin ich eigentlich der geworden, der ich bin? Ich kannte das bis dahin überhaupt nicht, dass man sich um halb 3 in der Nacht endlos von einem Gedanken zum nächsten hanteln kann… Irgendwann dachte ich: Vielleicht kann ich schlafen, wenn ich beginne, alles niederzuschreiben. Und es hat auch geholfen. Zumindest eine Zeit lang. Nach meinem nächsten Spitalsaufenthalt ging es dann noch ein paar Mal weiter, aber irgendwann hatte ich dann alles beisammen. Für den Beitrag im Buch war es aber zu viel, also hab ich ihn gekürzt und den Rest erst mal abgelegt… und dann kam auch schon deine Anfrage (lacht).

Ich musste schmunzeln, als ich deinen Text gelesen habe und du am Anfang beschreibst, wie du als Kind im Waldläuferkostüm die Wälder unsicher gemacht hast, nachdem du „Lord of the Rings“ 1978 gesehen hattest. Wenn man bei den Leuten rumfragt, wo die Faszination für Schwerter und Fechten ursprünglich herkommt, erzählen die meisten ja, dass es genauso angefangen hat: „Ich bin schon als Kind immer mit Holzschwertern rumgerannt.“ oder Ähnliches. Ist so eine Faszination von Anfang an da?

Das ist eine gute Frage. Hm… Ich hab schon vor dem Film, mit 5 oder 6 Jahren, angefangen Rittersagen, Heldensagen, germanische und griechische Sagen zu lesen. Die Geschichten sind einfach in meiner inneren Vorstellung zum Leben erwacht. Ich hab alles vor mir gesehen und versucht, es nach außen zu tragen – damals aufgrund meines Alters natürlich noch ohne zu verstehen, was das alles wirklich bedeutet: Die Machtkämpfe der Götter untereinander, und die ganzen Betrügereien – grad bei den griechischen Göttern…

Die sind heftig ja.

Ja (lacht). Der Sündenpfuhl par excellence. Aber es gab ja auch die Helden, die strahlenden Recken: Einen Dietrich von Bern, die Tragik von Siegfried… Figuren, wo man sagt: Ich wäre auch gerne so! Ich war als Bub eher klein, zart, lieb und brav. Aber ich glaub, in jedem Menschen steckt ein Potential für Aggression, Frust und Ähnliches – Dinge die raus müssen. Und die einen gehen dann halt was kaputtmachen oder anschmieren, und die anderen bügeln ihre Schulkollegen. Die dritten flüchten sich in ihre Fantasiewelten. Und die Flucht in eine Fantasiewelt, in der andere Eigenschaften gefragt sind, als die, mit denen man grad nicht so Erfolg hat, waren glaub ich einer der ganz frühesten Auslöser. Held sein wollen, wenn man physisch oder von den Gegebenheiten her nicht dazu in der Lage ist. Ich glaube, das ist in vielen Kindern drinnen.

Bei all den Dingen die du gemacht hast, bevor du beim Historischen Fechten gelandet bist… Kann ich dir mal zwei, drei Sachen zuwerfen und du sagst mir, was du davon fürs Fechten mitgenommen hast?

Gerne, gerne!

Du hattest ja Aikido gemacht, also: Asiatische Kampfkünste!

Disziplin und Respekt vor einer Waffe und vor den Leuten, mit denen ich trainiere.

Ich glaube, wohl eine deiner größten Leidenschaften: LARP (Live Action Role Playing).

Ich kann sein, wer ich will, wie ich will, wann ich will und wo ich will, innerhalb des Spieles und der Spielregeln.

Eistanz.

Die Körperbeherrschung. Das eigentlich Essentielle für jeden Fechter!

Kannst du erklären, was genau „Eistanz“ ist? Hat das mit Eiskunstlauf zu tun?

Nein, es gibt eine Wiener Form des Eistanzes, die sich Ende des 19. Jahrhunderts in München und in Wien entwickelt hat. Eiskunstlaufen ist ja sowas wie Ballett auf dem Eis. Wiener Eistanz ist Balltanz auf dem Eis. Man tanzt miteinander. Das gibt’s in der Form aber wie gesagt nur in Wien und München; es wurde 1886 von einem Amerikaner, der Europa für einige Monate bereiste, etabliert. In Wien hat sich um den Eistanz und den Wiener Eislaufverein daraufhin eine uralte Tradition gebildet, die sehr schön zeigt, wie eine sportliche Betätigung gesellschaftliche Veränderungen und Verhältnisse aufzeigen und auch selbst anstoßen kann. Fürs Eistanzen und Eislaufen haben sich zum Beispiel Frauen schon vor 1900 die Röcke kürzen dürfen, auf Kniehöhe – bis dahin wäre das undenkbar gewesen! Dazu kommt: Es war ein neutraler Platz, wo alle Gesellschaftsschichten – egal ob Adel oder gemeines Volk – sich getroffen haben. Sowas finde ich irrsinnig spannend. Und dann dachte ich, das lässt sich doch eins zu eins auf Fechthintergründe übertragen, beziehungsweise die historischen Hintergründe zu den Fechtformen. Es ist ganz wichtig sich damit auseinanderzusetzen! Wann ist die Form zu fechten, der ich mich verschrieben habe, entstanden und praktiziert worden? Unter welchen gesellschaftlichen Voraussetzungen? Was hat es damals bedeutet, sich diesem oder jenem Fechtstil zu widmen? Wofür ist das eigentlich entwickelt worden?

Das heißt, du hast aus deiner Erfahrung mit Eistanz mitgenommen, dass es irrsinnig wichtig ist, sich bei allem für Kontext und Entwicklung zu interessieren?

Es ist mir beim Eistanzen viel bewusster geworden. Am Anfang war mir das beim Rapierfechten auch wichtig. Klar. In Verbindung mit den historischen Rollenspielen und Geschichtsforschung musste ich mich ja damit auseinandersetzen. Aber dann trat es immer mehr in den Hintergrund – außer halt für die Auftritte, wo ich eben genau über diese Dinge dann gesprochen habe. Aber für mich waren es damals nicht mehr als Fakten, die ich darlegte. Das Gefühl für die großen Zusammenhänge ist ein fixer Bestandteil des Historischen Fechtens.

Tanz allgemein ist für dich ja sehr wichtig, und wie du sagst, sehr wichtig fürs Fechten. Wie kommst du zu diesem Schluss?

Körperbeherrschung, Spannung, konzentrierte Bewegung, Gleichgewicht… aber auch: Kommunizieren, ohne zu sprechen. Tanz ist für mich ein wichtiges Kommunikationsmittel. Ich lerne meinen Körper zu beherrschen und mich durch ihn auszudrücken, und dann kommuniziere ich aber auch mit jemand anderem, der mit mir „tanzt“. Das ist einfach schön. Und wäre ich nicht Fechter geworden, wäre ich Tänzer geworden.

Ich würde gerne deinem Werdegang im Fechten folgen, und zwar anhand von Peter Koza. In meinen bisherigen Interviews ist der Name bereits gefallen. Er hatte demnach in den Jahren um 2000 und danach großen Einfluss auf die Fechter in Österreich. Kannst du uns von ihm erzählen?

Peter Koza ist ein slowakischer Fechtmeister. Er hat 1965 angefangen, und zwar mit dem Darstellen von historischem Fechten. Da bin ich gerade mal geboren worden. Zu ihm muss man aber ein paar Dinge im Vorfeld wissen: Historische Darstellung in Form von Ritterturnieren und Reenactment war für die Leute im Ostblock damals die einzige Möglichkeit, von daheim fortzukommen. Er und seine Leute haben sich alles selber beigebracht. Es gab kein Internet, keine Fachbücher, keine Schriften, die man studieren konnte. Sie haben teilweise ein bestimmtes Handwerk gelernt, nur um sich ihre Rittersättel für die Reitturniere bauen zu können. Sie haben alles zusammengesucht, was es in der Tschechoslowakei an Büchern gab und versucht, daraus Szenen zu machen für ihre Auftritte.

Seine Leute betreiben also eine Art historisch belegbaren Schaukampf?

Genau, das hat er gemacht. Sie hatten einerseits Abbildungen in Büchern und andererseits das Handwerk, die Dinge, die dort verwendet wurden, nachzubauen. Aber wie man mit den Waffen ficht und kämpft, mussten sie sich selber überlegen. Peter Koza versuchte alles zusammenzuführen und vor Publikum zu präsentieren. Ursprünglich ging es immer nur um Performance. Und in diesem Kontext sind auch seine Techniken zu sehen, die wir alle am Anfang gelernt haben. Mit dem Auftauchen der verschiedenen historischen Quellen haben er und seine Schüler sich aber natürlich auch mit diesen auseinandergesetzt. Der wesentliche Unterschied zu uns war aber: Wir (in Österreich) waren alle blutige Anfänger und sie hatten bereits jahrzehntelanges Training im Kampf mit Blankwaffen hinter sich – im sicheren, darstellerischen, publikumswirksamen Kampf. Koza hat, glaube ich, auch die Gladiatores gegründet. Und Leute, die bei ihm gelernt hatten, begannen selbst damit, Schulen zu gründen – vor allem in Deutschland.

Es war auch durchaus eine Überlegung in der Anfangszeit von Klingenspiel, ob wir uns nicht nur auf seine Methoden und seine Didaktik verlegen.

Warum ist das nicht passiert?

Erstens hatten wir zu der Zeit schon die Einflüsse von echten historischen Unterlagen – und bei manchem, was wir bei ihm gelernt hatten, hätte Capoferro sich im Grabe umgedreht! Zweitens wäre es auch zu mühsam gewesen. Ich hätte regelmäßig nach Bratislava zu seinen Seminaren und Workshops müssen und ich hätte Teil seiner Administration und Ausbildung werden müssen und, und, und… Schlussendlich war es viel spannender, einen eigenen Weg zu finden.

2001 hast du bei Koza das Seminar zum italienischen Rapier gemacht. War das deine erste Begegnung mit dem Rapier?

Das war die erste Begegnung, ja. Und damals auch noch die einzige Möglichkeit. Wir hatten zwar schon freundschaftlichen und lockeren Kontakt zu Gruppen, die deutsche Schule machten, aber es gab keine Möglichkeit, Rapier zu lernen. Es gab auch keine Waffen dafür, außer vielleicht Hanwei – die erzeugten Klumpert, allerdings war es auch das einzige Klumpert, das zur Verfügung stand. Unsere ersten guten Rapiere ließen wir uns dann von Peter Kozas Schmieden fertigen. Und so ging das Hand in Hand: Ressourcen, passende Waffen, grundlegende Techniken, was ist der primäre Unterschied zwischen Rapier und Sportfechten – dass ich die linke Hand verwende: Ich nutze sie, um Waffen weg zu parieren, zu binden – ich arbeite nicht linear, sondern ich arbeite im Raum… Mit diesen grundlegenden Fragen und Problemen haben wir angefangen.

Wenn irgendjemand in der Szene „Pezi“ sagt, denken alle sofort: „Rapier“! Ist das Rapier genau deine Waffe?

Es war meine Waffe. Weil es in der Form, wie ich es damals gelernt und trainiert hatte, mir sehr nahekam. Die Leichtigkeit der Waffe, das elegante Führen, auch die Epoche hat mich am meisten interessiert – fecht-technisch und kulturell. Das Auftreten, das Flair, meine Erinnerung an „Die drei Musketiere“ mit Michael York (1973), der bei mir bleibenden Eindruck hinterlassen hatte, als ich ihn als Kind gesehen hatte. Es ist einfach diese elegante Fechtform, und es hat auch dieses Tänzerische!

Hätte es auch etwas anderes sein können?

Nein, Schwerter: Viel zu schwer – so „urgh“ – (lacht) das entspricht mir überhaupt nicht.

Auftritt von Klingenspiel auf dem UNESCO Weltkulturerbefest in Graz (2005).

„Das Gefühl für die großen Zusammenhänge ist ein fixer Bestandteil des Historischen Fechtens.“ 

Ich entnehme deinem Lebenslauf, dass du in den 80ern auch deshalb mit Aikido begonnen hast, weil du eigentlich lernen wolltest, dich selbst im Falle des Falles zu verteidigen. Hat Historisches Fechten denn einen Wert für jemanden, der eigentlich lernen will, sich in einer echten Notfallsituation selbst zu verteidigen?

Auf jeden Fall. Ich glaube für Selbstverteidigung kann man auf jeden Fall was mitnehmen. Und zwar einfach schon durch die Gespräche, die bei uns geführt werden: Wir sprechen über verschiedene Varianten von Waffentechniken, allerlei blutrünstiges Zeug. Was einem passieren kann, was man dagegen tun kann.

Aber hilft es denn im Ernstfall, wenn man nur darüber geredet hat?

Es löst einen Denkprozess aus. Wie würde ich reagieren? Könnte ich in der Situation überhaupt etwas machen? Oder wär ich damit völlig überfordert? Ich glaube einfach, man wird mit einem „realistischeren“ Bild konfrontiert, als bei einer „abstrakten“ Kampfkunst wie Aikido zum Beispiel – also ich finde Aikido toll, aber eine Kampfkunst, die erstens um 1900 rum entwickelt wurde, und deren Idee es ist „Leite den Angriff des Gegners an dir vorbei und bring ihm dann auf sanfte Art bei, dass er dich nicht weiter angreifen soll…“ – das ist in einer Selbstverteidigungssituation schon sehr realitätsfern. Und meiner Erfahrung nach reden wir in HEMA-Kreisen eher über Situationen, die da näher an der Realität liegen können.

Für mich gab es damals keine Alternative zu asiatischen Kampfkünsten, da es noch keine Möglichkeit gab, sich mit europäischem bewaffneten Kampf zu befassen. Aber es hat mir sehr schnell gezeigt, dass es mich nicht unbesiegbar macht. Es hat mein Selbstwertgefühl nicht gesteigert. Ich hab mich damit weder sicherer noch stärker gefühlt. Und genau das passiert aber im HEMA – je nach Verein und Trainer natürlich, aber ich glaube doch – sehr viel schneller. Ich hab das zumindest so beobachtet, vor allem auch bei Frauen.

Im Rapier zum Beispiel: Die Techniken lehren dich, eine potenziell tödliche Bedrohung zu kontrollieren. Ich hatte eine Schülerin, die meinte, ihr Rapier würde immer bei ihr an der Wand hängen, weil es für den Moment steht, an dem sie das erste Mal das Gefühl hatte, Gewalt nicht wehrlos ausgesetzt zu sein. Das ist auch mitunter der Grund, warum der bewaffnete Kampf mich immer mehr interessiert hat. Mit meinen damals 1,76m und 62kg bin ich jedem aggressiven Gewalttäter einfach nur ausgeliefert. Ein Durchschnittsschläger wischt mit mir den Boden auf. Ich würde auf jeden Fall irgendeine Form von Waffe brauchen, um mich gegen eine bestimmte Bedrohung erfolgreich zur Wehr setzen zu können. Und wie bei mir, war das auch bei einigen unserer Schülerinnen.

Das Gefühl, als ich das erste Mal ein Rapier in der Hand hatte… ha! Mein Wirkungskreis ist jetzt nicht mehr das Ende meiner Faust, sondern da kommen jetzt noch 1,20m Stahl dazu, und wenn der Gegner in diesen Kreis kommt, ist er dran! Das verändert einfach mal was. Man hat es auch an der Körperhaltung gesehen von den Leuten, die länger trainiert haben. Zuerst schleichen sie die Treppe runter, wollen nicht auffallen, und grade Frauen, die aufgrund ihrer Sozialisierung meistens eher nett und vorsichtig sein wollen… Ein halbes Jahr später sind die runter geschwebt: „Ha, ich bin da und das ist meine Waffe!“ Auf einmal geht man aufrechter, hat eine andere Körperspannung, man lernt Bewegungen schnell zu erkennen, Ausweichen, Mensur,… Es war mir im Training immer sehr wichtig, dieses Gefühl zu vermitteln.

Das klingt jetzt so, als wäre die Psyche im Training das Wichtigste für dich.

Für das, was unterm Strich rauskommt, ja! Ich glaub, dass vor allem die Psyche und die Einstellung in dem Moment des Kampfes das ist, was entscheidend ist. Ich kann der beste Techniker sein, wenn ich unkonzentriert bin, Angst habe oder unsicher bin, dann wird mich jemand, der diese Skrupel und Bedenken nicht hat, wegputzen. Das gilt im Sport, aber auch in einer Gefahrensituation im Privatleben. Wenn jemand einfach schon eine selbstbewusste und kämpferische Aura hat, dann verlangt es von Seiten des Angreifers schon eine viel höhere Überwindung, dass er die Person angreift, als wenn man diese Ausstrahlung eben nicht hat.

In den 90ern wurdest du vollkommen unerwartet mit einer Bluttat in deinem persönlichen Umfeld konfrontiert. Du hast gemeint, das wäre ein einschneidendes Erlebnis gewesen – auch für deine Perspektive aufs Historische Fechten. Wie verändert „reale“ Gewalt das Verhältnis zu HEMA?

Die eigentliche Erkenntnis kam eigentlich erst viel später, rückblickend: Dass es eigentlich total leicht ist, jemanden umzubringen, ohne, dass der andere irgendeine Chance hat, etwas dagegen zu tun. Und dann stellt man sich natürlich die Frage: Wozu lerne ich überhaupt jahrzehntelang eine Waffe zu führen oder jede beliebige andere Kampfkunst, wenn ich dann zum Beispiel von hinten das Messer reingerammt bekomme. Oder ich gehe ein Bier trinken, lande in einer Wirtshausschlägerei und plötzlich zieht jemand ein Messer aus der Tasche und sticht zu. Die nächste Überlegung war: Wenn ich selbst etwas lerne und trainiere und auch vermittle, das ursprünglich genau zu diesen Ergebnissen führen sollte – genau das ist ja Sinn und Zweck von Kampfkunst meiner Meinung nach – dann sollte man sich schon genau überlegen, was man tut. Warum man es tut. Und sich mit den Situationen mal beschäftigen: Ich hab jetzt gelernt, mit einem Scheibendolch Leuten im Nahkampf den Garaus zu machen. Das heißt, ich kann de facto das nächste Küchenmesser in die Hand nehmen. Will ich das überhaupt? War mir das vorher bewusst? Und was kann ich alles anrichten?

Was bedeutet es denn für uns Fechter?

Man muss sich einfach bewusst machen, dass unsere Kunst – zumindest ursprünglich – das Töten ist. Jeder, der sich mit irgendeiner Art des bewaffneten Kampfes befasst – und wenn er sich hundertmal einredet, dass es „nur“ ein Sport ist – sollte sich damit beschäftigt haben. Was kann ich eigentlich und was kann mein Körper? Es ist ja wie Autofahren oder Skifahren, irgendwann denkt man nicht mehr darüber nach, man reagiert intuitiv mit dem, was man gelernt und trainiert hat. Es muss uns bewusst sein, dass wir unsere Körper genau auf diese Dinge formen: Instinkte, Reaktion, Mensurgefühl, Wahrnehmung von Bewegungen,… Alles was wir im Training, auf Turnieren oder im Sparring lernen, darauf können wir in einer Kampfsituation zurückgreifen. Gelingt mir das in einer Selbstverteidigungssituation, dann ist das was Gutes – weil dann schütze ich mich ja, aber andererseits: Wenn ich dann irgendwann mal ausraste, aggressiv werde, auf Drogen bin oder was weiß ich… dann sind wir schlimmstenfalls Zeitbomben.

Peter Zillinger mit Klingenspiel bei „Montur und Pulverdampf“ im Heeresgeschichtlichen Museum (2011, Bild links & Mitte).

Veranstaltung von Chaine de Rotisseurs (Gut Oberstockstall, 2013, Bild rechts)

„Ich glaub, dass vor allem die Psyche und die Einstellung in dem Moment des Kampfes das ist, was entscheidend ist. Ich kann der beste Techniker sein, wenn ich unkonzentriert bin, Angst habe oder unsicher bin, dann wird mich jemand, der diese Skrupel und Bedenken nicht hat, wegputzen. Das gilt im Sport, aber auch in einer Gefahrensituation im Privatleben.“ 

Zurück in die Jahre kurz nach der Jahrtausendwende: Klingenspiel wurde 2004 gegründet, richtig? Also im gleichen Jahr wie der ÖFHF.

Richtig. Gefochten hatten wir aber schon zwei Jahre davor. Offiziell wurde der Verein dann 2004 angemeldet. Die Dreynis und Rittersporn waren damals schon einige Jahre aktiv gewesen. Mit uns kam aber eine neue Schiene hinzu: Rapier und damit jüngere Fechtstile, als die deutsche Fechtschule. Die anderen Vereine nahmen das wohl als Anstoß. „Da kommen noch mehr Leute, noch mehr Waffen, jetzt sollten wir vielleicht was tun, damit wir offizieller auftreten können.“ Dann stand zunächst die Überlegeng im Raum, sich an einen der drei Verbände dranzuhängen – Sportunion, ASKÖ und ASVÖ.

Die internationalen Kontakte waren in diesen Jahren immer stärker geworden und es kamen schon die ersten Strukturen in Italien, Spanien und den USA zum Vorschein. Die hatten alle schon eine Form von Organisation. Mit der Gründung des ÖFHF wollten wir nachziehen.

Wer genau waren die Gründungsmitglieder von Klingenspiel und wo kamen eure ersten Vereinsmitglieder her? Aus dem LARP, aus deinem Verein Ariochs Erben vielleicht?

Julia Dykiert, Horst Kalser und ich, wir waren die Gründungsmitglieder. Und nein, kaum einer der ersten Fechter kam aus dem Live-Rollenspiel. Horst machte Liverollenspiel, aber nicht sehr intensiv, Julia war überhaupt keine Live-Rollenspielerin.

Erinnerst du dich noch an die ersten Texte und Bücher, die ihr in den Anfangszeiten so verwendet habt?

Ich hab anfangs viel Standard-Fechtliteratur hergenommen, weil in der auch über die Geschichte des Fechtens geschrieben worden ist: The History of Fencing (William M.Gaugler, 1997), Arte of Defence – An Introduction to the Use of the Rapier (William Wilson, 2003), Renaissance Swordmanship – The Illustrated Use of Rapiers of Cut-And-Thrust Swords (John Clements, 1998), Actors on Guard – A Practical Guide for the Use of Rapier and Dagger for Stage and Screen (Dale Anthony Girard, 1998) – das war für mich ein wichtiges Buch, weil es sehr auf die Schaukampfelemente eingeht. Man darf wirklich nicht vergessen, dass das Bühnen- und Schaufechten mindestens so alt ist, wie das historische Fechten – und wenn jemand sagt, das sei ein Blödsinn, dann sollte der mal Geschichte lernen! Dann noch: Italian Rapier Combat – Capo Ferro’s Gran Simularco (Hg. Jared Kirby, 2004), The Duellist’s Companion – A Training Manual for 17th Century Italian Rapier (Guy Windsor, 2006). Und – last but not least – Giacomo Di Grassi basierend auf Internetquellen. Es gab damals nur sehr wenige einschlägige Text im Netz, ich habe alles ausgedruckt und dann binden lassen, damit ich überhaupt etwas Schriftliches hatte.

Ab 2004 ging es bei Klingenspiel auch so richtig mit Auftritten los. Ich wüsste niemanden in Österreich, der so viel Auftritte hinter sich haben könnte, wie du. Ich hab die beeindruckende Liste ja gesehen – und das sind nur die, an die du dich erinnerst. Siehst du dich eigentlich mehr als Performer oder als Fechter?

(Lacht) Ich hab um 2000 aufgehört Buch zu führen und hab das nachträglich dann mal nachgeholt, da bin ich stundenlang gesessen, bis ich die Daten und die Auftritte halbwegs beieinander hatte. Hm… Als was ich mich sehe…? Ich sehe mich als Fechter. Ich sehe mich als Vermittler von Fechtkunst.

Ich glaub, ich bin so richtig aufgeblüht, als ich das erste Mal eine Klasse unterrichten musste. Ich bin stundenlang dagesessen und hab mir Lehrpläne und Techniken überlegt für den Unterricht. Da hab ich so richtig gespürt: Das ist jetzt meins. Ich hab einfach gemerkt, die Leute hören mir zu, das was ich mach, ergibt offensichtlich für andere Sinn, es funktioniert – gelegentlich mit Diskussionen, aber das gehört in einem Lernprozess dazu – da hab ich begonnen, mich wohlzufühlen. Jetzt steh ich da oben auf der Bühne, und versuche den Leuten zu erklären, was Fechtkunst ist und hab gemerkt, ok, es funktioniert auch, also dürfte ich eine sinnvolle Mischung gefunden haben aus „Herzeigen“ und „herzeigen lassen“, aber auch „passend kommentieren“.  Deswegen bin ich wohl so ein Kind aller Welten. Aber ich würde nie mit dem Fechten aufhören.

Es wird allerdings für mich immer uninteressanter, mir irgendeine neue Technik einzutreten, weil es in Wirklichkeit ein paar grundlegende Dinge gibt, auf die man schauen muss. Ich brauch kein Online-Seminar darüber, „warum greif ich lieber die angreifende Hand an“, oder „wie greife ich richtig das rechte Knie an, wenn ich im Kreis gehe“, das mach ich intuitiv. Hält mir jemand die Hand hin, hau ich ihm drauf. Greift mich jemand im Sturzflug an, gehe ich einen Schritt zurück und hau ihm die Knie ab. Völlig egal, ob ich jetzt Marozzo oder Capoferro oder einen italienischen Säbelmeister zitiere.

Du hast dich also am Weg immer weiter von den Quellen weg und hin zu universellen Prinzipien des Kampfes entwickelt?

Würde ich, so wie ich mich momentan einschätze, auch sagen, ja.

Ich hab schon öfter gehört, dass man eigentlich nicht Bühnenfechter und Fechter gleichzeitig sein kann. „Das echte Fechten hat nichts mit Bühnenfechten zu tun und das Bühnenfechten haut dir das Fechten zam“ – so in der Art.

Stimmt. Unterstreiche ich völlig – außer, mir ist dieser Umstand bewusst und ich tu zum richtigen Zeitpunkt das Richtige. Ich hab das extrem gespürt, als noch diese Überschneidung zwischen Sportfechten und Peter Kozas Rapierfechten bestand. Ich hab Kämpfe auf einmal verloren, weil ich zwar einen klaren Treffer landen konnte – ich im Bühnenfechten aber trainiert hatte, das Handgelenk abzuwinkeln, damit mein Partner nicht verletzt würde. In dem Moment, wo der Kontakt da ist, knickt man das Handgelenk bei Peter Koza ab, macht dabei aber die komplette, große Bewegung nach vorne, die vom Publikum gesehen wird, aber meine Spitze ruht dabei auf der Brust des anderen, und wenn er dann die entsprechende Bewegung mitmacht, sieht das Publikum ganz klar: Ich habe getroffen. Blöderweise löst der Sportdegen bei so einer Technik nicht die Elektrik aus.

Ich hab auf jeden Fall gemerkt, das funktioniert nicht miteinander. Ich musste also eine Entscheidung treffen. Nachdem ich mit dem Sportfechten angefangen hatte, habe ich mich auch sehr aus dem LARP rausgenommen, und als ich im historischen Fechten mit dem Turnierfechten begonnen habe, war das sehr kontraproduktiv gegenüber den Live-Rollenspielkämpfen. Im LARP sind ja keine Kopftreffer erlaubt und ich hab damals mal versehentlich im LARP einen Gegner an der Stirn verletzt. Ich war total entsetzt, weil mir das in jahrzehntelanger Erfahrung zuvor noch nie passiert war. Das hat alles überhaupt nicht zusammen funktioniert.

Ich hab inzwischen den Eindruck gewonnen – korrigiere mich, falls das nicht stimmen sollte – dass zwischen 2000 und 2010 sehr viel passiert ist, weil die Vereine immer mehr Auftritte auf den verschiedensten Veranstaltungen hatten und durch diese vermehrte Präsenz in der Öffentlichkeit begann alles zu wachsen. Kannst du mir erzählen, wie du diese Zeit erlebt hast?

Sehr verändert hat sich vor allem die Qualität der Ausrüstung und Ausstattung. Die Inhalte sind zwangsläufig ähnlich geblieben. Ein Auftritt muss sich ja am Publikum orientieren.  Auftritte, während derer wir hochkomplexe Kleinigkeiten gezeigt und erklärt hatten, verursachten großes Gähnen oder völliges Unverständnis. Ist so (lacht). Das wird bei allen Gruppen so gewesen sein. Das Publikum ist ja immer das gleiche. Aber die Auftritte wurden immer schöner und auch immer sicherer. Ausrüstung und Waffen wurden immer authentischer. Aus einem „Jahrmarktgeprügel“ wurde ein „Wow, so ist es wirklich abgelaufen“.

Ihr wurdet immer professioneller?

Ja, das war schon zu bemerken. Bei allen Gruppen. Mit der Zeit gab ich dann auch Empfehlungen ab: „Ihr wollt genau das sehen? Dann fragt den Verein!“ Oder auch in die andere Richtung kam dann z.B. hin und wieder was von den Dreynis, von Oli(ver) Walter: „Du Peter, wir sollen da was machen, magst nicht du das übernehmen, weil das ist eigentlich euer Fachgebiet.“ Es entstand also schon so eine Art Spezialisierung. Die Ansprüche uns gegenüber wurden auch immer höher.

Wann kam der Punkt, wo man bemerkte, dass sich auch forschungsmäßig bzw. in der Rekonstruktionsarbeit wirklich viel tat?

Das ging sehr schnell und Schlag auf Schlag, ich denke so 2010 wird ungefähr hinkommen. Ich hab es schmerzhaft zu spüren bekommen. Ich glaube 2013 wurden wir von Peter Koza zu einem Workshop eingeladen, den ein paar seiner Leute über verschiedene italienische Stile gegeben haben. Und dieselben Leute, die eigentlich Bühnenfechter waren, haben plötzlich mit derselben Körperbeherrschung und Disziplin lupenreines Rapierfechten nach Fabris und Capoferro gezeigt, sodass ich innerlich nur mehr zusammengebrochen bin. Ich hab schlagartig bemerkt, dass wir was verschlafen hatten. Die hatten einfach körperlich auch ganz andere Voraussetzungen, um bilderbuchschön nach historischen Stilen zu fechten. Wir haben auch schon mit den Texten gearbeitet, aber die hatten aufgrund ihrer Schule, des Trainings und des Einsatzes, den Peter Koza jahrzehntelang von ihnen erwartete und forderte, viel schneller Erfolge.

Hat dich das angespornt oder entmutigt?

Mich hat es entmutigt, oder sagen wir, ich hab zumindest erkannt: Das pack ich in der Zeit nicht. Aber ich hatte junge Fechter und Fechterinnen im Verein, die das angespornt hat. Und das war auch für mich der Zeitpunkt, das Training abzugeben. Ich hab gesagt: „Leute, ich konzentriere mich auf das, wo ich sattelfest bin, aber ich habe nicht die Zeit mich so schnell in das so rein zu tigern. Ihr wollt das tun, dann tut es: Charlie, also Karl Rapp, Florian Fortner, Julian Schrattenecker… Andrea (Zottel) hat sich dann ins spanische Fechten sehr reingetigert. Wir haben dann begonnen, Thibault zu trainieren, weil Andrea damit begonnen hatte, ihn zu übersetzen und zu analysieren. So konnten wir dann doch relativ schnell aufholen. Ich hab es zwar nie als Konkurrenzkampf gesehen, aber die meisten österreichischen HEMA-Fechter waren zu dem Zeitpunkt sicher Anfänger im Vergleich zu Kozas Leuten.

Wie ist es jetzt?

Da wage ich kein Urteil darüber abzugeben (lacht). Es gibt einige exzellente Fechter, die wissenschaftlich und historisch supertoll arbeiten. Ich wage aber zu behaupten, dass die Mehrzahl der Leute weiterhin einfach Spaß an der Sache hat. Diesen Biss zu haben: Ich arbeite mich bis ins letzte kleine Detail durch etwas durch, den haben die meisten erst, wenn sie oft genug eins auf die Klebeln (Finger) bekommen haben. Ich für mich bin über diesen Schritt ja auch hinausgewachsen und geb damit kein gutes Beispiel ab. Ich will eigentlich Fechten in einer Form, die mir Spaß macht. Ich bin für jeden, der gegen mich ficht immer noch eine Challenge, außer im Rapier für Florian Fortner, der sticht mich einfach ab (lacht). Und mit dem Langschwert die meisten. Aber wenn ich mich auf meine Urfähigkeiten besinne, und an die Bandbreite an Kampfstilen – vom linearen Fechten, vom Stoßfechten, vom Hiebfechten – dann fallen mir genug Blödheiten ein, mit denen ich dem Gegner auf den Keks gehen kann. Und es ist völlig ok, wenn ich dann trotzdem besiegt werde. Ich muss nicht gewinnen. Als Vorbild und Trainer sehe ich meine Zeit eigentlich abgelaufen. Ich bin da innerlich ein bisschen in Pension gegangen. Es gibt einfach Jüngere, die viel besser sind und die noch die Energie und Kraft haben.

Letztens hielt ich mal wieder einen Workshop bei Klingenspiel und es hat mir saumäßig viel Spaß gemacht, da haben wir mit Rapier und Rotella gearbeitet. Aber ich hab jetzt nicht mehr den Ehrgeiz, DER Rotella-Guru in Österreich zu werden.

Du sagst, du bist innerlich in Pension gegangen, aber du bist ja glücklicherweise noch da, wenn du Workshops machst. Du bist also nicht von der Bildfläche verschwunden.

Ich bin da, aber ich suche mir jetzt einfach nur mehr das aus, was mir Spaß macht. Ich bin viel zu lange vorne gestanden und musste vorgeben, wie etwas abzulaufen hat.

Aber jetzt bin ich älter und weiser. Wenn ich einer Entwicklung im Wege stehe, merke ich das. Das war ein solches Spannungsfeld mit Florian (Fortner) und Julian (Schrattenecker). Jemand anderer hätte vielleicht gesagt: „Geht woanders hin!“ Aber ich dachte mir, ist doch toll, wenn wir so eine Forschungsecke haben! Ich hab einfach nicht die Zeit und den Nerv dafür. Und Charlie (Karl Rapp) kümmert sich um Capoferro, Horst (Kalser) und Chihab Kraiem um I.33. Ich zieh mich auf Spanisches Fechten zurück und da ist Andrea (Zottel) unsere Trainerin. Das Spanische interessiert mich vor allem vom Technischen her. Ist auch etwas tänzerisch – vor allem Körperhaltung und Schritttechnik. Im Übrigen gehe ich jetzt auch wieder Säbelfechten, weil mir der Wettkampf beim Hiebfechten am meisten Spaß macht. Glücklicherweise ist der Säbel nach Barbasetti seit vielen Jahren auch Bestandteil unseres Trainings, Trainer ist Axel Mumm. Mit Roman Riegler und seinem Kenjutsu-Training, das ich ebenfalls immer wieder besuche, hätte sich der Kreis, den ich mit Aikido begonnen hatte, nun fast geschlossen – blöderweise hab ich jetzt zuletzt Spadone entdeckt, und weiter geht’s.

Es war also lange alles hauptsächlich Arbeit für dich, aber jetzt willst du es wieder als Hobby betreiben und Spaß daran haben?

Genau. Ich denke, ich hab meine Pflicht getan, und jetzt bekomm ich auch wieder Lust etwas für andere zu tun. Sobald es wieder möglich sein wird, möchte ich unsere Auftrittsgruppe gerne wieder zusammenführen und einen Workshop für Auftritte machen. Wo wir über sichere Präsentation von Techniken reden, über Bühnenverhalten, dass man mindestens zwei andere Waffen soweit beherrscht, dass man einspringen kann für einen anderen. Ich werd irgendwann ja auch mal ausfallen. Das möchte ich neugestalten und darauf freue ich mich schon! Da bringe ich das ein, was ich noch kann, was ich verstanden hab und was ich noch weitergeben kann.

Rapierworkshop in Salzburg (2015).

„Sobald es wieder möglich sein wird, möchte ich unsere Auftrittsgruppe gerne wieder zusammenführen und einen Workshop für Auftritte machen. “ 

Gehen wir nochmal zurück zum ÖFHF, dessen Mitbegründer du und Klingenspiel ja wart. Der ÖFHF wurde, wenn ich mich an meine bisherigen Interviews erinnere, ja unter anderem deshalb gegründet, weil ihr euch von anderen Strömungen abgrenzen wolltet.

Die Gründung des ÖFHF diente im Wesentlichen drei Dingen: Der Schaffung von Rechtsicherheit – je offizieller wir wären, umso eher sollte es gelingen, im Fall von Unfällen einen vergleichbaren Rechtsstatus mit anderen Sport- bzw. Kampfsportrichtungen zu erhalten, dachten wir. EIN Weg dazu sollte der Anschluss an existierende Sportinstitutionen sein. Zweitens wollten wir eine Vernetzung der Fechtgruppen forcieren, die annähernd vergleichbare Interessen in Bezug auf Forschung und historische Hintergründe bei der Beschäftigung mit historischer Fechtkunst hatten. Der letzte Punkt war, gewisse Standards zu definieren, die uns von „rufschädigenden“ Praktiken anderer Gruppen, die sich mit Schwertern auf Mittelaltermärkten etc. prügelten, abgrenzen würden.

Was war deine persönliche Motivation?

Ich folgte da voll und ganz Oli(ver Walter), der sagte, wir brauchen für das was wir tun, irgendeinen rechtlichen Rahmen. Dann das Qualitätssiegel und die Qualitätsmerkmale.

Was war Qualität für euch damals in der Anfangszeit?

Fechtkunst in Verbindung mit existierenden Quellen. Belegbarkeit also. Dadurch wollten wir unserem Tun auch einen seriöseren Anstrich geben. Wir hatten alle und haben immer noch, einen Erklärungsnotstand in den Momenten, wo wir auf dem Weg zum Training mit Fechtwaffen aufgehalten und gefragt werden, warum wir hier mit Schwertern durch die Gegend rennen. Oder, Gott möge es behüten, irgendeiner steht eben nicht mehr auf. Weil eine Fechtfeder abbricht, wie es im Sportfechten schon passiert ist. Nur, die sind Sportler in der öffentlichen Wahrnehmung, wir sind nix.

Sind wir immer noch nix?

In der Eigenwahrnehmung nein, sicher nicht mehr. In der Außenwahrnehmung… In Deutschland hat sich die rechtliche Situation mittlerweile verändert, in Österreich nicht, soviel ich weiß. Da möge mich der ÖFHF jetzt prügeln, wenn ich was Falsches sage, aber wir bewegen uns immer noch in einer Grauzone. Wir haben keine sportliche Berechtigung. Wir hätten einfach ein Problem, würde mal ein Rapier durch den Körper fahren. Egal, ob ich das jetzt im Rahmen der Sportunion tu oder nicht. Der Graubereich ist vielleicht heller geworden, aber so wirklich verschoben hat er sich nicht.

Dazu kann ich an dieser Stelle ein kleines Update geben: Wir hatten die vergangenen Monate ja ein paar Gespräche mit Sport Austria (ehemalig BSO). Ich hab mich vor den Treffen gedrückt, muss ich zugeben, also berichte ich aus zweiter Hand. Aber die rechtliche Absicherung kam zur Sprache. Sport Austria meinte dazu, dass die Feststellung, ob ein „Sport“ ein Sport ist, nicht von ihnen kommt, sondern auf Länderebene passiert. Der Sportunion NÖ ist das wiederum in dieser Formulierung nicht bekannt. Obmann Andreas Klingelmayer geht diesen widersprüchlichen Aussagen gerade nach. Es scheint aber so, als ob es in Österreich einfach kein Zertifikat „Du bist Sport“ von irgendeiner offiziellen Stelle gibt. Viele unserer Vereine sind zum Beispiel Mitglied der Sportunion – also eines Sport-Dachverbandes. In der Schlussfolgerung dürfte HEMA rechtlich gesehen ein Sport sein.

Die Mitgliedschaft bei Sport Austria schadet natürlich nicht, aber sie wäre nicht die große Absicherung, die wir uns immer erwartet hatten. Rechtlich ist anscheinend allein durch die Gründung des ÖFHF, die angebotene Trainerausbildung und die Sicherheitsvorgaben im Turnierwesen schon mehr geschehen, als durch die Mitgliedschaft bei Sport Austria noch geschehen würde, so wie ich das verstanden habe.

Hm… das zeigt, dass wir 2004 mit der Gründung des Verbandes die richtige Entscheidung getroffen haben. Eine gewisse Legitimation ist sicher schon dadurch entstanden, dass wir es einfach tun. Die Leute schauen jetzt in der Covid-Zeit den Leuten in den Parks beim Training mit Langschwertern zu, ich würd’s noch immer nicht in der Öffentlichkeit tun ehrlich gesagt, aber das ist meine persönliche Meinung. Ich glaub die Zeit hilft uns einfach. Aus „Oh Gott, Leute mit Schwertern“ wird halt durch den Gewöhnungseffekt irgendwann „Aha, schon wieder Fechter“. Die Leute haben sich ja auch an Live-Rollenspieler gewöhnt nach 25 Jahren, die in ihren komischen Kostümen herumrennen.

Was hat der ÖFHF – jetzt abgesehen von der rechtlichen Frage, die wir grade diskutiert haben – in den Jahren von damals bis heute gemacht und hat er aus deiner Sicht etwas erreicht?

Ehrliche Antwort?

Natürlich. Ganz ehrlich!

Bis in die letzten – sagen wir ca. – fünf Jahre hat er eigentlich kaum etwas gemacht.  Ich kann es aber echt nicht festhalten, weil mir der Einblick fehlt. Ich weiß, dass Harry (Winter) und ich uns von Anfang an mit der Akademie der Fechtkünste bemüht haben, über Herrn Doktor Herbert Laszlo. Müsste so um 2006 oder 2007 gewesen sein. Ich bin damals angesprochen worden, im Zusammenhang mit den Dreharbeiten für den Sisi-Film (2009), Laszlos Leute aus der Säbelschule machten auch mit bei den Dreharbeiten.

Habt ihr euch bei den Dreharbeiten kennengelernt?

Nein, das muss vorher gewesen sein. Ich weiß jetzt echt nicht wann und wodurch das Gespräch zustande kam. Aber wir haben uns auf jeden Fall ein bisschen beschnuppert und zugesagt, dass wir einander für den Film unterstützen würden. So lernten wir uns kennen. Mein großer Vorteil war, dass ich Sportfechter war. Ich hatte einfach zur Akademie der Fechtkunst – die ja aus Sportfechtmeistern bestand – einen anderen Zugang.

Du warst ihnen damit nicht so suspekt, nehme ich an?

Genau. Ich wusste, was und wer sie sind. Ich hab dann den Kontakt zum ÖFHF hergestellt, damit wir vielleicht ein Dach finden würden. Die einen schauten damals zur BSO (heute Sport Austria), die anderen zur Sportunion. Und für mich war es die Akademie. Ich dachte, wir könnten da vielleicht in ein Ausbildungsprogramm reinrutschen, was wir dann auch gemacht haben. Die Ausbildung zum Scholar (2009) war der erste gemeinsame Versuch. Dann ist Laszlo gestorben.

Das klingt so, als wäre alles super gelaufen und dann kam da plötzlich der Abgrund.

Ja… Er hatte sich den Knöchel gebrochen oder eine Sehne verletzt… irgendeine sehr harmlose Geschichte auf jeden Fall. Es war ein kleiner Eingriff nötig und er ist an einer Fettembolie gestorben mit Anfang 60. Einfach aus dem Leben geschossen. Ich war bei der Beerdigung dabei und habe mit den anderen seinen Sarg getragen. Die anderen alle in weißen Fechtuniformen und ich in meiner weiß-schwarzen als historischer Fechter.

Warum ist danach nichts mehr passiert? Der Kontakt war ja schon hergestellt.

Es kam dann einfach von Seiten der Akademie nichts mehr. Sie hatten sicher selbst massiv mit seinem Tod zu kämpfen. Seine Frau hat übernommen, so viel ich weiß. Sie war natürlich auch nicht gerade in der Stimmung, etwas neu aufzubauen. Verständlicherweise. Und dann blieben sie einfach bei ihren alten Schienen: Sportfechten und Bühnenfechten bzw. Choreografien für Bühneninszenierungen. Die Tochter von Laszlo hat z.B. die Choreos für Romeo und Julia im Burgtheater gemacht. Die Akademie ist der Zusammenschluss aller Fechtmeister: Sportfechtmeister und Bühnenfechtmeister.  Basis für beides ist das Sportfechten, aber die beiden Schienen gehen eigentlich schon stark auseinander von der Ausbildung her.

Die Tradition des Bühnenfechtens und Schaufechtens ist uralt. Aber trotzdem, die einen schauen auf die anderen herab. Die Sportfechter auf die Bühnenfechter, die Bühnenfechter auf die Sportfechter und gemeinsam schauen sie auf uns HEMA-Fechter runter. Und die HEMA-Fechter wiederum schauen auf sie herab. Dieses „Ich mach das und schau auf die anderen runter“, ist eine Tradition, die leider schon seit Jahrhunderten in der Fechtszene existiert.

Ist die Zusammenarbeit auch an diesen Vorurteilen gescheitert?

Absolut, ich denke schon. Es hätte ja eigentlich keine Gründe gegeben, die Zusammenarbeit nicht weiter auszubauen. Danach war lange nichts. Erst als Ingulf (Popp-Kohlweiss) und Marcel (Dorfer) aktiv wurden und im Turnierbereich einiges weitergebracht haben, kam wieder Schwung in die Ausbildung mit dem Übungsleiterlehrgang. Als die Versportlichung anfing, sozusagen. Dazwischen gab es eine lange Totzeit. Es gab keinen, der aktiv was mit uns gemeinsam machen wollte, also standen wir alleine da. ABER es fanden sich immer mehr Vereine, die bereit waren, sich unseren Spielregeln und dem Verband anzuschließen. Ihre Trainings, ihre Lehrinhalte, ihre Fechtformen dem ÖFHF passend zu gestalten. Und das war ein ganz, ganz wichtiger Schritt im Vergleich zur Zeit vor dem ÖFHF, als einfach alle irgendwas gemacht hatten.

Was hast du denn die letzten Jahre mitbekommen?

Hm… (lacht). Ich hab mitbekommen, dass die Fachbereiche entstanden sind wie Turnier, Forschung und Ausbildung. Ansonsten hab ich ehrlich gesagt wenig mitbekommen, obwohl ich im Vorstand war. Ich hab mich aber auch aus privaten Gründen etwas ausgeklinkt. Tochter, Familie,… da war für solche Dinge einfach keine Zeit mehr. Was ich sonst noch mitbekommen hab, waren die Aktivitäten rund um die Nationalmannschaft und das Turnierwesen und das Ausrichten von Turnieren, der Beginn des Alpen-Adria-Cups. Es ist also viel gemacht worden von einigen Wenigen, auch wenn die Arbeit vielleicht nicht immer nach Außen sichtbar ist. Aber, dass solche Arbeit wie ein Waten durch Schlamm ist, liegt wohl in der Natur der Sache. Es ist also viel gemacht worden, aber nach Außen hin wenig passiert.

Mir wird ein bisschen schummrig bei dem Gedanken, dass Historisches Fechten sich innerhalb von 20 Jahren zu einem Breitensport entwickelt hätte… Ich glaub die Mehrzahl von uns Alten wollen das nicht. Bis auf einige Idealisten, die für die Zukunft denken und planen.

Meinst du mit Breitensport die Versportlichung?

Die Versportlichung auch, aber auch das in die Breite gehen des Sportes. Ich halte es immer noch für viel zu gefährlich. Und da bin ich nicht der Einzige. Erstens fanden wir es seinerzeit cool, dass wir etwas Exklusives betreiben. Dass wir etwas tun, was andere nicht tun. Und das hat gute Gründe. Man will nicht, dass viele Leute auf einmal lernen, mit Langschwert, Mordaxt und Dolch professionell umzugehen. Das halte ich für problematisch. Ich kann in unseren kleinen Gruppen und kleinen Vereinen einen ziemlich guten Überblick darüber haben, wer da bei mir im Verein ist und mitmacht.

Wenn der Verein eine gewisse Größe überschreitet, weiß ich nicht, ob die wirklich noch den Überblick über alle behalten können: Wer kommt, wer lernt was und wer tut was. Ich muss inzwischen auch nicht mehr wie damals monatelang warten, nachdem ich mein Schwert bei Schmied XY bestellt habe und dann kommt es an und ist immer noch 2kg zu schwer. Ich kann mir so eine Latte an Mordinstrumenten auf Amazon bestellen und die sind morgen da. Und ich kann in einem legalen und akzeptierten Rahmen lernen, sie zu verwenden. Und das in einer Zeit, die zunehmend gewalttätiger wird. Nein, ich will nicht, dass das ein Breitensport wird.

Ihr, also die Initiatoren, habt den ÖFHF gegründet, weil ihr die rechtliche Absicherung wolltet, der Großteil von euch wollte und will aber keine Versportlichung oder HEMA als Breitensport. Nun sah es die letzten Jahre ja so aus, als wäre der einzige Weg zur Absicherung die Sport Austria. Aber um bei der dabei zu sein, muss man genau das werden: Ein Breitensport mit einer funktionierenden Spitzensport-Riege. Schon irgendwie ironisch, oder?

Es ist ein absolutes Paradoxon. Ja, leider. Es gibt noch mehr davon in HEMA. Aber das ist ein sehr augenscheinliches, ja.

Was wäre dein Wunsch an den ÖFHF, wie wir das Dilemma auflösen können?

Was ich für eine klare Lösung halte, ist dass es eine klare Trennung gibt. Man kann die Entwicklung von historischem Fechten als Sportform wohl nicht mehr aufhalten. Soll man auch nicht. Dann ist es ein Sport mit allem was dazugehört. Mit allen Einschränkungen und mit allen Möglichkeiten. Dann soll man sich sportlich ausbilden lassen, soll entsprechende professionelle Kleidung und Ausrüstung verwenden – was man eh mittlerweile schon tut dank Axel Pettersson und Co. Dann gibt es die Turniere und die Punkte, ein Zielsystem und so weiter und sofort. Aber dann ist es nicht mehr historisches Fechten. Dann gibt es eine Sportform davon, die man nennen kann wie auch immer, vielleicht Sportfechten 2.0. Das ist mir wurst. Sportfechten war ja nichts anderes. Sportfechten ist aus haargenau der gleichen Bredouille entstanden, in der wir gerade stecken. Es wird gerade das Rad neu erfunden. Schaut doch mal zurück, wie sich das Sportfechten entwickelt hat, und ihr steht genau vor den gleichen Problemen. Der einzige Unterschied ist, dass wir keinen Krieg im Rücken haben.

Wir wiederholen die Geschichte des Sportfechtens?

Ja. Daran führt nichts vorbei. Es passiert ja schon. „Versportlichung“ der Kunst „Töten, ohne getötet zu werden“ (also Fechten) begleitet uns quer durch die Jahrhunderte und Kulturen. Egal in welcher Epoche ich ansetze, gab und gibt es Formen des Kampfes, die bestimmten „zivilisierten“ Regeln unterworfen waren, um ein Ziel oder einen Status auch ohne letalen Ausgang zu erreichen. Zu diesem Zwecke wurden Waffen und Rüstungen modifiziert, das Erreichen bestimmter Ziele im Waffengang und ehrenhafte und unehrenhafte Verhaltensregeln definiert und so weiter und sofort.

In „unserer“ Zeit – also jetzt – versucht man nun (wieder einmal) den Spagat zwischen modernen Sporterkenntnissen und alten tradierten Schriften zu spannen – das tut natürlich manchmal weh, vor allem in der Mitte. Beim Etablieren des klassischen Sportfechtens um 1900 gab es die gleichen Probleme – nona. Dass das Florett seit 1800 (also 220 Jahre!) eigentlich die längst dienende historische Trainingswaffe ist, die durchgehend bis jetzt benutzt wurde, ist z.B. auch vielen nicht bekannt – vor allem nicht Florettfechtern. Mit dem Abdriften in das Sportfechten ging das Wissen unter, dass ein Florett eine Übungs- und Vorbereitungswaffe für (echte) Duelle mit dem Stoßdegen war… das Wissen um diese Hintergründe sollte nicht verloren gehen – genau das macht HEMA aus!

Für mich macht es aber thematisch keinen Unterschied, ob sich nun Marxbrüder mit Federfechtern nach damals aktuellen Regeln und Erkenntnissen bei Fechtschulen prügelten – warum machen wir das eigentlich nicht anstelle moderner Turniere? – oder ob wir das heute – unserem zivilisatorischen Standard entsprechend – mit passender Schutzkleidung und mehr oder weniger erprobten Regeln tun. Wir haben ja eigentlich schon eine durchaus bewährte Tradition von Sportfechten mit allen notwendigen Ausbildungswegen und Trainingsdidaktik – es wäre schön, wenn die HEMA-Leute auf deren Erkenntnisse etwas weniger herabschauen würden – und umgekehrt.

Ich verstehe übrigens nicht, warum nicht mehr Turniere nach historischem Vorbild abgehalten werden. Da wurde schon vor Jahren geforscht, und abgesehen von Blut lässt sich eigentlich alles korrekt simulieren.

Das Grundproblem ist zu allen Zeiten das Gleiche: will ich Kampfkunst in reiner Form betreiben, dann muss ich mein Gegenüber töten oder kampfunfähig machen – Ende. Will ich genau nach einem bestimmten Lehrbuch fechten, dann lerne ich das Buch und die Techniken auswendig und tu nur das, was drinnen steht – egal, ob der Autor jetzt Liechtenauer, Meyer, Di Grassi, Capo Ferro, Hutton, Roux oder Barbasetti heißt.

Will ich lernen, Kämpfe in Turnieren zu gewinnen, muss ich auf jeden Fall die reinen Formen aufgeben und mich „beschmutzen“, die Gegner sind nämlich möglicherweise anders ausgebildet und dann endet mein Können genau dort, wo mein geliebter Fechtautor beschlossen hat, sein Wissen nicht mehr schriftlich weiterzugeben.

Um HEMA wirklich praktizieren, verstehen und umsetzen zu können, muss man über den Tellerrand sehen können und wollen, auch wenn man mitunter gezwungen ist, mit anderen von einem Plastikteller zu essen. „Was also will ich jetzt genau“ – das ist die Frage, die einen HEMA-Fechter das ganze HEMA-Leben begleiten sollte.

Was ist dein Wunsch an den ÖFHF?

Einmal die klare Definition von Kernkompetenzen und eine Struktur, diese auch wahrzunehmen. Man sollte auch mal überprüfen, ob vor 14 Jahren getroffene Einschränkungen und Maßstäbe auch heute noch sinnvoll und zeitgemäß sind. Der ÖFHF hat aber auch dafür Sorge tragen, dass er seine Ursprünge und jene der historischen Fechter der ersten Generation nicht vergisst oder in den Hintergrund drängt.

Ich würde mir vom ÖFHF wünschen, eine Geisteshaltung bei ALLEN Fechterinnen und Fechtern zu etablieren, in der man die Aktivitäten der anderen respektieren lernt und – nach Bedarf und Sinnhaftigkeit – unterstützt. Das impliziert für mich jede Form von bewaffneten Zwei- oder Gruppenkampf.

Klingenspiel im Heeresgeschichtlichen Museum (2019).

„Als was ich mich sehe…? Ich sehe mich als Fechter. Ich sehe mich als Vermittler von Fechtkunst.“ 

Gibt es irgendwas, was ich dich nicht gefragt habe, worüber du aber gerne reden würdest?

Frauen im HEMA. Ich dachte mir eigentlich, dass da von dir was kommt (lacht).

Ich muss gestehen, das Thema „Frauen in…“ ist mir als Betroffene zwar wichtig, ich bin es aber andererseits auch schon etwas leidig, weshalb ich selbst es nicht gerne in den Vordergrund rücke. Aber wenn es von dir kommt, sehr gerne!

Es gibt zu wenig Frauen in HEMA, das ist offensichtlich und im Verhältnis vermutlich sogar schlechter geworden als zu der Zeit, wo ich angefangen habe. Liegt vermutlich an unserer sich – unseren Regierungen sei Dank – rückentwickelnden „modernen“ Gesellschaft. Das ist aber Stoff für einen anderen Beitrag, den ich gerne liefern würde. Für mich war es ein langer Weg, aufgrund meiner „klassischen“ Sozialisierung mit gleicher Einstellung wie bei männlichen Gegnern auf der Planche zu stehen und auf Frauen einzustechen oder zu schlagen. Dank einiger exzellenter Fechterinnen wurde ich aber im Lauf der Zeit recht schnell von dieser Einschränkung geheilt.

Spätestens wenn ich eine Fechtmaske aufhabe, fechte ich gegen Menschen, genderneutral – wie es so schön heißt. Ich weiß aus langen Jahren Fechtunterricht, wie schnell sich das Selbstbild und das Selbstwertgefühl einer Frau verändern und verstärken kann, wenn sie einmal mittels Fechtunterricht von ihrem bisherigen Pfad einer typischen Sozialisierung als Frau weggeführt wird. Daher halte ich das für ein großes Chancenfeld von HEMA, genau vor allem für Frauen dieser rückläufigen Entwicklung von Rollenbildern entgegenzuwirken!

Andrea Zottel & Peter Zillinger bei einer Fechtvorführung auf der Zeitreise, Veste Coburg (2009)

„Für mich war es ein langer Weg, aufgrund meiner „klassischen“ Sozialisierung mit gleicher Einstellung wie bei männlichen Gegnern auf der Planche zu stehen und auf Frauen einzustechen oder zu schlagen. Dank einiger exzellenter Fechterinnen wurde ich aber im Lauf der Zeit recht schnell von dieser Einschränkung geheilt.“ 

Klingenspiel zeigt den Tanz Heart’s Ease aus dem 16. Jahrhundert auf der Rosenburg (2013).

„Wäre ich nicht Fechter geworden, wäre ich Tänzer geworden.“ 

Dann komme ich zur letzten Frage: Wie kommt es, dass dein Bart immer wie die Faust aufs Auge zu deinen aktuellen Rollen auf der Bühne passt? Absicht oder Zufall?

Ich hab so langsamen Bartwuchs, dass ich lange keine Chance hatte, da Dinge auszuprobieren. Das hat sich eigentlich erst vor ein paar Jahren entwickelt, weil ich jetzt mehr Bart habe. Aber ja, es passt einfach zum Auftritt als historischer Fechter, egal ob mit Rapier oder mit Säbel. Es macht einfach das Erscheinungsbild glaubwürdiger. Und ich fühl mich auch wohler damit. Hm… jetzt ist mittlerweile alles weiß geworden (lacht). Blöderweise wächst mein Bart auch so langsam, dass ich es mir gar nicht leisten kann, ihn wieder abzurasieren (lacht).

Vielen Dank für Deine Zeit!

Interview geführt von Elisabeth Orion, März 2021

Fotos: Peter Zillinger (privat)